Freitag, 25. Oktober 2019

Kellner

Verborgenes

Wenn Handke, wie er in diesen Tagen betont, von Homer und Tolstoi herkommt, so ist er von dem eingeschlagenen Weg schon bald scharf abgebogen. Sebald hat eine positive Einstellung zu Handkes Erzählung Die Wiederholung und insbesondere zu der Figur des Kellners im Gasthof Zur Schwarzen Erde im dritten und letzten Abschnitt des Buches. Der Erzähler steht nicht in einer lebendigen Beziehung zu dem Kellner, er malt sein Bild aus der Entfernung, in dunklen und auch hellen blauen Farben, möchte man meinen. Mit ihm und auch mit den anderen Gästen spricht der Kellner nur das Notwendigste, mehr noch als beim Servierdienst sieht man ihn bei der Arbeitsvorbereitung, dem Putzen der Gläser, dem Decken der Tische &c., ein Vorgesetzter, ein Wirt tritt nicht ins Bild. In der abschließenden Einstellung sieht der Erzähler durchs Fenster den Kellner auf der Brücke über den Bach, einen Stapel Teller in der Beuge des rechten Arms, mit der Linken greift er einen Teller nach dem anderen und läßt ihn elegant, wie eine Sammlung von Spielschgeiben ins Wasser segeln. Bei realistischer Betrachtung, die aber wohl nicht gefragt ist, kann darin nur der Abschied vom Kellnerberuf gesehen werden, die Gäste können ohne Teller nicht mehr bedient werden, und der Wirt kann das Zerstörungswerk nicht billigen. Vieleicht war es aber auch vom Wirt aussortiertes und zum Verderb freigegebenes Steingut, man wird es nicht erfahren.

Sebalds Erzähler bleibt, was die Kellner und Kellnerinnen anbelangt, weitaus getreuer auf Tolstois Spuren einer realistischen Erzählweise. Fünfter November 1980, der Kellner bringt dem Erzähler  die Rechnung, Pizzeria Verona, di Cadavero Carlo e Patierno. Das Telefon läutet, erst im letzten Moment hebt Carlo Cadavero, der Kellner, ab. Wenn er ins Telefon spricht, kehrt er den Blick gegen die Decke. Ob der Erzähler die bedrohliche Atmosphäre, die ihn zur eiligen Flucht veranlaßt, zu recht oder zu unrecht verspürt, bleibt offen. Wenig an Klarheit zu wünschen übrig läßt dagegen die Situation im Bahnhofsrestaurant Innsbruck. Auf eine gar nicht unfreundlich gemeinte Bemerkung über den Tiroler Zichorienkaffee hin hängt die Bedienerin dem Erzähler auf die bösartigste Weise, die man sich denken kann, das Maul an. Nicht offen unfreundlich aber auch nicht gerade einnehmend ist die verschreckte junge Frau, die im großen Speisesaal des Hotels Lowestoft seine Bestellung entgegennahm und ihm bald darauf einen gewiß schon seit Jahren in der Kühltruhe vergrabenen Fisch brachte, an dessen paniertem, vom Grill stellenweise versengten Panzer er dann die Zinken seiner Gabel verbog. Ganz anders geht es zu im Hotel Sole in Limone, wo Luciana Michelotti unter anderem auch für die Kellnerei zuständig ist. Verabredungsgemäß bringt sie dem mit seinen Manuskripten beschäftigten Erzähler in regelmäßigen Abständen einen Express und ein Glas Wasser, bleibt bei ihm stehen und knüpft eine kleine Unterhaltung an, und einmal ist ihm gewesen, als spürte er gar ihre Hand auf seiner Schulter.

Wie immer bei Sebald sucht man auch in diesen vier Szenen nach etwas unangekündigt Verborgenem, das aber nicht leicht offenbar wird. Vielleicht war alles nur so, wie es war und wie es bei Tolstoi gewesen wäre. Handke versucht, sich soweit wie möglich auf der unteren, verborgenen Ebene zu bewegen, auf der weder Tolstoi noch Homer anzutreffen sind.

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