Second Hand
Wenn der Erzähler Luciana Michelotti bekennt, er sei mit der Niederschrift eines Kriminalromans beschäftigt, stellt sich die Frage, wer in welcher Funktion mit der Aufklärung des Verbrechens betraut war. Mit der wahrhaft beängstigenden Flut an Kriminalromanen hat sich auch die Erscheinungsform des Detektivs in unüberschaubarer Weise aufgefächert. Ein staatlich alimentierter Kommissar in der Art Ingravallos scheidet hier ebenso aus wie eine weibliche Ermittlerin nach dem Muster der ohnehin nur in Krakau aktiven Professorowa Szczupaczyńska. Um es geradheraus und ohne weitere Verzögerung zu sagen: nach Lage der Dinge kann es sich bei dem Ermittler in den Schwindel.Gefühlen nur um den als Privatdetektiv tätigen Erzähler selbst handeln.
Im Sektor der Privatermittler sind zwei übergeordnete Kategorien festzuhalten, einmal den Ermittler nach Art des Sherlock Holmes, der ausgehend von den verborgensten Indizien mit messerscharfer Logik den Übeltäter entlarvt, und auf der anderen Seite der sogenannte hartgesottene Ermittler, der paradigmatisch von Philip Marlowe vertreten wird. Der von Schwindelgefühlen geplagte Erzähler wird kaum in der Weise von Holmes vorgehen können, und hartgesotten ist er auch nicht unbedingt. Zwar stellt er am Mailänder Bahnhof eine gewisse Schlagkraft unter Beweis, als es ihm gelingt, mit dem Schwung seiner Reisetasche zwei Straßenräuber in die Flucht zu schlagen, vor allem aber an den fast noch wichtigeren sogenannten Nehmerqualitäten dürfte es fehlen. Gewisse Annäherungen, ähnliche Motive &c. aber gibt es schon. Was etwa das Empfangspersonal anbelangt, mit dem sie zu tun haben, bewegen sich der Erzähler der Schwindel.Gefühle und Marlowe auf einem zahlenmäßig vergleichbaren Niveau, bei Marlowe stehen allerdings in der Mehrzahl nicht Frauen, sondern Männer an der Rezeption. The clerk on duty was a man with no interest in me or in anything else. He yawned as he handed me the desk pen and looked off into the distance as if remembering his childhood. Ins Deutsche übersetzt würde diese Szene an der Rezeption in der Prosa des Dichters nicht als Fremdkörper empfunden werden.
Der hartgesottene Ermittler war alles in allem eine falsche Spur, mehr Aussicht auf Erfolg hat die Zuordnung zum Ermittler wider Willen, wie wir ihn exemplarisch in Santo Piazzeses Helden Lorenzo La Marca vorfinden. Wie der Erzähler der der Schwindel.Gefühle ist La Marca Wissenschaftler, Naturwissenschaftler allerdings, Biologe. Er geht seinem Beruf nach und kann sich nicht allein auf die Ermittlungen konzentrieren, ab und zu scheint es, als seien die Nachforschungen aus Zeitgründen ganz versiegt, dann aber kehrt das Motiv der Kriminalistik doch wieder zurück. Die Schwindel.Gefühle sind vom Kriminalroman im engeren Sinne noch weiter entfernt als La Marca mit seiner lockeren Form der Tataufklärung. Ohne den eigentlich nur für Luciana Michelotti und womöglich als Scherz gedachten Hinweis wäre dem Leser das Kriminalgenre kaum in den Sinn gekommen. Um welches Verbrechen handelt es sich eigentlich, diese Frage sollte der nach dem Ermittler vorausgehen. Zwei, wenn nicht gar drei Verbrechen kann der Leser ermitteln. Da sind einmal die blutigen Untaten der ORGANIZZAZIONE LUDWIG, und dann ist da das mysteriöse Geschehen im Umfeld der Pizzeria Cadavero, das den Dichter nicht etwa zur Aufnahme von Ermittlungen, sondern zur Flucht veranlaßt. Schließlich ist noch der Jäger Gracchus zu erwähnen.
Die Ermittlungen nimmt der Erzähler erst sieben Jahre später im Rahmen seiner zweiten Italienreise auf, als eine Art Second hand-Ermittler, eine innerhalb der Gattung des Kriminalromans bislang kaum vertretene Gruppierung. Er scheitert mit dem spontanen Versuch über die Vorfälle in und um die inzwischen geschlossene Pizzeria Cadavero im gegenüberliegenden Photographengeschäft etwas zu erfahren, obwohl man dort durchaus Bescheid weiß. Auf die Klärung der Angelegenheiten der ORGANISATION LUDWIG hat er sich besser vorbereitet und ein Gespräch mit dem Journalisten Salvatore Altamura verabredet, der ihm die offiziellen Ermittlungsergebnisse in der gebotenen Ausführlichkeit zu schildern vermag. Im Bezirk der mythologischen Kriminalität dagegen, wie sie dem Jäger Gracchus angelastet wird, fühlt der Dichter sich aus eigenem Vermögen kompetent. Der Jäger Gracchus weist jede Schuld zurück, und doch währt die aus seiner Sicht ungerechte Strafe schon seit ewig. Der Dichter sieht den Sinn der unablässigen Fahrten des Gracchus in der Abbuße einer Sehnsucht nach Liebe. Das ist wohl weniger die Frucht einer Ermittlung als ein Bemühen um Vermittlung von unklarer Schuld und fragwürdiger Sühne.
Wenn der Erzähler Luciana Michelotti bekennt, er sei mit der Niederschrift eines Kriminalromans beschäftigt, stellt sich die Frage, wer in welcher Funktion mit der Aufklärung des Verbrechens betraut war. Mit der wahrhaft beängstigenden Flut an Kriminalromanen hat sich auch die Erscheinungsform des Detektivs in unüberschaubarer Weise aufgefächert. Ein staatlich alimentierter Kommissar in der Art Ingravallos scheidet hier ebenso aus wie eine weibliche Ermittlerin nach dem Muster der ohnehin nur in Krakau aktiven Professorowa Szczupaczyńska. Um es geradheraus und ohne weitere Verzögerung zu sagen: nach Lage der Dinge kann es sich bei dem Ermittler in den Schwindel.Gefühlen nur um den als Privatdetektiv tätigen Erzähler selbst handeln.
Im Sektor der Privatermittler sind zwei übergeordnete Kategorien festzuhalten, einmal den Ermittler nach Art des Sherlock Holmes, der ausgehend von den verborgensten Indizien mit messerscharfer Logik den Übeltäter entlarvt, und auf der anderen Seite der sogenannte hartgesottene Ermittler, der paradigmatisch von Philip Marlowe vertreten wird. Der von Schwindelgefühlen geplagte Erzähler wird kaum in der Weise von Holmes vorgehen können, und hartgesotten ist er auch nicht unbedingt. Zwar stellt er am Mailänder Bahnhof eine gewisse Schlagkraft unter Beweis, als es ihm gelingt, mit dem Schwung seiner Reisetasche zwei Straßenräuber in die Flucht zu schlagen, vor allem aber an den fast noch wichtigeren sogenannten Nehmerqualitäten dürfte es fehlen. Gewisse Annäherungen, ähnliche Motive &c. aber gibt es schon. Was etwa das Empfangspersonal anbelangt, mit dem sie zu tun haben, bewegen sich der Erzähler der Schwindel.Gefühle und Marlowe auf einem zahlenmäßig vergleichbaren Niveau, bei Marlowe stehen allerdings in der Mehrzahl nicht Frauen, sondern Männer an der Rezeption. The clerk on duty was a man with no interest in me or in anything else. He yawned as he handed me the desk pen and looked off into the distance as if remembering his childhood. Ins Deutsche übersetzt würde diese Szene an der Rezeption in der Prosa des Dichters nicht als Fremdkörper empfunden werden.
Der hartgesottene Ermittler war alles in allem eine falsche Spur, mehr Aussicht auf Erfolg hat die Zuordnung zum Ermittler wider Willen, wie wir ihn exemplarisch in Santo Piazzeses Helden Lorenzo La Marca vorfinden. Wie der Erzähler der der Schwindel.Gefühle ist La Marca Wissenschaftler, Naturwissenschaftler allerdings, Biologe. Er geht seinem Beruf nach und kann sich nicht allein auf die Ermittlungen konzentrieren, ab und zu scheint es, als seien die Nachforschungen aus Zeitgründen ganz versiegt, dann aber kehrt das Motiv der Kriminalistik doch wieder zurück. Die Schwindel.Gefühle sind vom Kriminalroman im engeren Sinne noch weiter entfernt als La Marca mit seiner lockeren Form der Tataufklärung. Ohne den eigentlich nur für Luciana Michelotti und womöglich als Scherz gedachten Hinweis wäre dem Leser das Kriminalgenre kaum in den Sinn gekommen. Um welches Verbrechen handelt es sich eigentlich, diese Frage sollte der nach dem Ermittler vorausgehen. Zwei, wenn nicht gar drei Verbrechen kann der Leser ermitteln. Da sind einmal die blutigen Untaten der ORGANIZZAZIONE LUDWIG, und dann ist da das mysteriöse Geschehen im Umfeld der Pizzeria Cadavero, das den Dichter nicht etwa zur Aufnahme von Ermittlungen, sondern zur Flucht veranlaßt. Schließlich ist noch der Jäger Gracchus zu erwähnen.
Die Ermittlungen nimmt der Erzähler erst sieben Jahre später im Rahmen seiner zweiten Italienreise auf, als eine Art Second hand-Ermittler, eine innerhalb der Gattung des Kriminalromans bislang kaum vertretene Gruppierung. Er scheitert mit dem spontanen Versuch über die Vorfälle in und um die inzwischen geschlossene Pizzeria Cadavero im gegenüberliegenden Photographengeschäft etwas zu erfahren, obwohl man dort durchaus Bescheid weiß. Auf die Klärung der Angelegenheiten der ORGANISATION LUDWIG hat er sich besser vorbereitet und ein Gespräch mit dem Journalisten Salvatore Altamura verabredet, der ihm die offiziellen Ermittlungsergebnisse in der gebotenen Ausführlichkeit zu schildern vermag. Im Bezirk der mythologischen Kriminalität dagegen, wie sie dem Jäger Gracchus angelastet wird, fühlt der Dichter sich aus eigenem Vermögen kompetent. Der Jäger Gracchus weist jede Schuld zurück, und doch währt die aus seiner Sicht ungerechte Strafe schon seit ewig. Der Dichter sieht den Sinn der unablässigen Fahrten des Gracchus in der Abbuße einer Sehnsucht nach Liebe. Das ist wohl weniger die Frucht einer Ermittlung als ein Bemühen um Vermittlung von unklarer Schuld und fragwürdiger Sühne.
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