Donnerstag, 9. Juli 2020

Fascio und Sichel

Europäischer Streifzug

Mi dicevano Pablo perché suonavo la chitarra: einer dieser schönen ersten Sätze, aus denen sich, wenn man nur versteht, auf seine Melodie zu hören, Pavese zufolge der weiter Verlauf eines Romans von selbst ergibt. In Il compagno verfolgt der Autor die Entwicklung des jungen ungebildeten und politisch zunächst uninteressierten Gitarrenspielers zum Antifaschisten und Kommunisten in den späten dreißiger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts. Das entsprach Paveses eigener politischer Einstellung, die zu ändern er bis zu seinem frühen Tod im Jahre 1950 kein Anlaß hatte. Alles in allem haben politische Themen in seinem Prosawerk aber eine geringe Bedeutung, Il compagno hinterläßt ein wenig den Eindruck einer nicht ganz gelungenen Pflichtarbeit, das Gitarrenmotiv, so schön es eingeleitet wird, bleibt leer und wird mit fortschreitender Lektüre aufdringlich. Von Anhängern der sogenannten engagierten Literatur wird das Buch naturgemäß bevorzugt. Anhänger der littérature pour la littérature halten sich vor allem an La casa in collina, ein Buch, dessen Protagonist sich in einer vergleichbaren Situation keineswegs in einen Compagno oder ähnliches verwandelt: Mi piaceva star solo e immaginarmi che nessuno mi aspettava. Andai solo per strade e caffé, sfolgiai die libri da un libraio, mi soffermai davanti a vecchie casi che contentavano ricordi mai piu rinvangati. Als studierter Lehrer und Icherzähler steht Corrado, so sein Name, dem Autor näher als Pablo, der Gitarrist aus dem Volk.

In Polen war die Situation, verglichen mit Italien, ganz anders. Ein eigenständiger Faschismus kam schon deshalb nicht in Betracht, weil die Deutschen die Sache umgehend in die Hand genommen und die Zukunft der Polen als Sklavenvolk verplant hatten. Aus den Händen Hitlers gelangte man dann übergangslos in die Hände Stalins. Die Idee, in Abwehr eines ohnehin nicht hausgemachten Faschismus, der nun dem Kommunismus Platz gemacht hatte, ein Towarzysz zu werden oder zu bleiben, fiel in Polen nicht auf fruchtbaren Boden. Die Deutschen, so Rymkiewicz, hätten seine Kindheit zerstört, die Russen und ihre polnischen Gefolgsleute die Jugend und ein gutes Stück seines weiteren Lebens.

Paveses Lebensspanne umfaßte die Zeit der beiden großen Kriege und nur einige wenige Jahre noch darüber hinaus, das bestimmte seine Perspektive. Für die nach oder kurz vor Kriegsende in Westdeutschland geborenen Kinder war Krieg ein Wort, von dem keine Beunruhigung ausging, das war einmal, näheres wußte man nicht. Von Brennesseln zugewachsene Bombentrichter galten den Kindern als normale Landschaftsmerkmale, Ruinen als feste Bestandteile der Städte, warum sollte es je anders gewesen, je anders sein. Die Erwachsenen hatten den Wiederaufbau und wenig anderes im Sinn, so etwa nachzulesen in Kästners Kriegstagebuch. Von den Juden wußten die Kinder nichts oder nur Schemenhaftes. So unerträglich das Wort Aufarbeitung des Geschehenen ist: es fehlte daran. Es kam erst lange Jahre nach Kriegsende in Gang, betrieben vor allem von den inzwischen erwachsenen Kindern, die Ruinen waren längst verschwunden, die Bombentrichter aufgefüllt. Das Thema Krieg und Holocaust wird von eher literaturfernen Lesern in Sebalds Prosawerk überdimensional wahrgenommen, seine Bedeutung aber ist unbestritten. Das Thema tritt nachdrücklich vor allem im kurz vor dem Unfalltod des Dichters veröffentlichten Roman Austerlitz zutage. Der Dichter hatte zuvor das in Deutschland längst schon ritualisierte Gedenken kritisiert und wohl nach neuen Wegen gesucht. Die sogenannte Diktatur des Proletariats dagegen erscheint nur kurz im Prosawerk, als es die Mathild Seelos in der roten Zeit für einige Monate nach München verschlägt. Sebald hatte geplant, das Thema der Münchener Räterepublik noch einmal umfänglicher aufgreifen, dazu ist es nicht mehr gekommen. Wie könnte das Buch ausgesehen haben? Mit der Münchener Räterepublik schien der Kommunismus in Deutschland Fuß zu fassen, bevor aber noch die routinierten russischen Bolschewiken hilfreich herbeieilen konnten, um die Lage stabilisieren, war es auch schon wieder vorbei. Was daran hat den Dichter fasziniert?
Es bleibt als einzige Möglichkeit, zurückzukehren zur Episode Mathild Seelos, um sie näher zu erforschen. Die Mathild hatte in ihrer Jugend zwei einander widersprechende Phasen durchlaufen, unmittelbar vor dem ersten Krieg war sie in das Regensburger Kloster der Englischen Fräulein eingetreten, hatte das Kloster aber noch vor Kriegsende unter eigenartigen Umständen wieder verlassen und, wie gesagt, einige Monate lang, in der roten Zeit, in München sich aufgehalten. Von dort war sie alsbald in einem arg derangierten und fast sprachlosen Zustand, hinterfür mit einem Wort, nach Haus zurückgekehrt. Es wäre hilfreich, wenn der Dichter die eigenartigen Umstände näher ins Auge gefaßt und dargelegt hätte, er hat es offenbar mit Absicht unterlassen. Beide Episoden, die in Regensburg und die in München, enden unversöhnlich, Gründe und Einzelheiten werden nicht bekannt. Auch das Verhalten der Mathild nach ihrer Rückkehr in Patria gibt wenig zu erkennen. Jahr um Jahr ist sie unter den Dorfbewohnern herumgegangen, unfehlbar in einem schwarzen Kleid oder einem schwarzen Mantel und stets unter der Bedeckung eines Hutes und nie, auch beim schönsten Wetter nicht, ohne Regenschirm. Offenbar ist sie fortan weder als Kirchgängerin noch als Agitatorin auffällig gewesen. Mit dem Großvater hat sie sich regelmäßig zum Kartenspiel getroffen, möglicherweise zum Watten. Während des Spiels werden die beiden nicht politisiert haben, eher schon beim Kaffee danach, aber auch das ist bloße Vermutung. Schließlich ist die nach dem Tod der Mathild gesichtete Bibliothek zu betrachten, bestehend zum einen aus Gebetsbüchern des 17. und des frühen 18. Jahrhunderts mit zum Teil drastischen Abbildungen der uns alle erwartenden Pein und zum anderen, mit den geistigen Schriften vermischt, aus Traktaten von Bakunin, Fourier, Bebel, Eisner, Landauer, also die zwei in Büchern gespiegelten geistigen Experimente ihrer Jugend. Wann waren die Bücher erstanden worden, die Gebetsbücher während der Zeit in Regensburg und die Traktate dann in München? Oder erst Jahre später, nachholend zum besseren Verständnis des Geschehenen?

Der Blick auf das nicht geschriebene Werk zur Räterepublik bleibt, wie man es auch wendet, verschleiert, nur soviel scheint sicher, es wäre weder aus dem Blickwinkel eines klerikal Konservativen noch auch dem eines Genossen verfaßt worden.

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