Schwarzgekleidet
Als Pradera am
Sonntag den Bibliothekswagen aufsucht, ist der noch menschenleer, das Volk ist
samt und sonders bei der Messe. Die Frage der Bibliothekarin, warum er nicht
die Messe hört, beantwortet Pradera dahingehend, er würde Kirchen nur vor oder
nach der Messe betreten, in der Stille des Gotteshauses würde er sich
wohlfühlen, am Ritus sei er nicht interessiert. Ähnlich erinnert sich Sebalds
Erzähler an die im Inneren der menschenleeren Kapellen in der Gegend von W.
herrschenden vollkommende Stille. Auf der anderen Seite des Erlebens standen
freilich die an den Wänden abgebildeten Grausamkeiten.
Günter Dux sieht
den gerade erst evolutionär entstandenen Menschen sogleich mit einem umfassenden
Weltverständnis beauftragt, darin unterschieden vom, mit Heideggers Worten,
weltarmen Tier. Seiner speziellen Aufgabe aber war der Mensch nicht gewachsen ohne
die sein Erleben leitende Religion. Wo immer Menschen waren, schossen
Religionen wie Pilze aus dem Boden. Wenn, wie viele meinen, die
jüdisch-christliche Religion hervorsticht aus dem Meer der Religionen, so nur aufgrund
ihrer literarischen Qualitäten. Die Genesis, so Dux, sei das vielleicht gelungenste
Prosastück überhaupt, ihre sachliche Glaubwürdigkeit aber habe sie im Zuge des enormen
Wissenszuwachses der letzten dreihundert Jahren so gut wie vollständig eingebüßt.
Was brächte einen allmächtigen Gott dazu, sich allein um einen winzigen, im All
kaum auffindbaren Planeten zu kümmern
und auf diesem Planeten exklusiv nur um eine einzige Säugetiergattung, den Homo
sapiens?
Die
schwarzgekleideten korsischen Frauen erfahren keine sonderliche Sympathie,
anders die alten polnischen Frauen, Babcia Potęga und Babcia Taborska in Cała
Jaskrawość, Babcia Oleńka in Siekierezada und die eigene Mutter in Pogodzić
sie ze światem (Sich abfinden mit der Welt), Stachuras
Sterbetagebuch. Die Ummantelung durch den Katholizismus ist den Frauen so
selbstverständlich wie die eigene Haut und niemand versucht sie zu verletzen. Jezus
najsłodszy, allsüßester Jesus, das ist das Leitmotiv, Momente des
Ungeheuerlichen und des Grausamen werden von den alten Damen nicht bemerkt.
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