Dienstag, 4. Januar 2022

Wagenschuppen

Fröhliches Beisammensein

Die Bauern und die Holzknechte saßen beim Engelwirt gruppenweise beieinander am oberen beziehungsweise unteren Ende der Gaststube. Für sich allein saß, unbeachtet von allen, einzig der Jäger Hans Schlag – wer würde auch nur ein Pfennig opfern, um bei diesem Gelage dabei zu sein, und umgekehrt, wer würde nicht seinen letzten Pfennig zücken, um an der Festveranstaltung im Wagenschuppen der Freiwilligen Feuerwehr in Bobrowice teilzunehmen? Aber was würde er als anwesender Teilnehmer tatsächlich gewinnen gegenüber Praderas umfassenden und mitreißender Erzählung vom Fest? 
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Tags zuvor hatte Pradera der reizenden Tochter des Försters zuliebe das Kinderfest besucht und zwei Tänze mit dem Kind getanzt, heute will er am Abend die Zabawa, die allgemeinen Lustbarkeiten in Ruhe und Frieden besuchen, ein wenig trinken, ein wenig schauen, vor Mitternacht noch nach Hause gehen, beginnend am frühen Morgen die restlichen Arbeiten beim Holzfällen erledigen und dann seinen Lohn empfangen. Tanzen will er nicht. Getarnt in einer Limonadenflasche hat er Selbstgebrannten dabei, um nicht auf den an der Theke angebotenen kaum trinkbaren Wein angewiesen zu sein. Ein normaler Mensch unter normalen Menschen. Die Dinge entwickeln sich aber nicht ganz so wie geplant. Ein älterer Mann setzt sich an seinen Tisch und beweist in immer neuen Anläufen, daß früher alles besser war, Pradera verweist auf Lenins Ermordung durch die Konterrevolution und nutzt den Überraschungseffekt zur Flucht. In einiger Entfernung erkennt er Kollegen aus der gemeinsamen Waldarbeit, den flinken Peresada und andere. Ein Junge fällt ihm auf, der angelehnt an die Tischbeine am Boden sitzt, die Arme um die Beine gelehnt. Er sitzt regungslos in einer melancholischen Fundamentalposition, schaut und hört so als urteile er über die Welt. Mit aller Strenge. Ohne Nachsicht. Und das ist schrecklich. Denn ohne Nachsicht bleibt kaum etwas. Wenig von dem, das er, Pradera, weiß. Wenig und nur wenige. Von dem, das er kennt und weiß, sehr, sehr wenig.

Inzwischen spielt die Musik und alle tanzen, mit Ausnahme derjenigen, die nicht tanzten, darunter Pradera und die Holzfällerkollegen, an deren Tisch er sich gesellt hatte. Ein reiner Männertisch, an dem fast nur über Frauen gesprochen in der üblichen Art, beklagt wird etwa, daß der Anteil der Frauen mit ordentlichen Brüsten ständig abnehme, für den Spätromantiker Pradera keine Thema, zu dem er etwas beisteuern möchte, er schließt die Augen und denkt an Gałązka Jabłoni, die Angebetete daheim. Ernster als die lockeren Gespräche ist der Fall des Kameraden Kaziuk, von dem es heißt, er liefe draußen unter lautem Geschrei durch die Ortschaft auf der Suche nach seiner wieder einmal der Untreue verdächtigen Frau. Und schon drängen sich die nicht vorgesehenen Vorfälle.

Lachen ist wichtig, so Pradera, man kann nicht oft genug lachen, selbst dann, wenn kein besonderer Anlaß besteht. Zusammen mit einem zufällig auf der Straße getroffenem Passanten habe er, Pradera, der das Lachen liebt, einmal minutenlang grund- und haltlos gelacht, und es war ihnen beiden gut bekommen. Das Lachen der betrunkenen Frau aber, hier im festlich gestalteten Wagenschuppen, dieses Lachen ist häßlich, schmutzig und schrecklich, es verletzt die würdevolle Trauer der kranken Welt. Oft schon habe ihn, Pradera, ein ähnliches Lachen verletzt, vor allem von Frauen, ohne daß er sagen könne, woran es liegt. Und dann, während er noch grübelt, plötzlich ein lautes Klirren, Kaziuk dringt auf unorthodoxe Weise in die Remise ein, indem er mit der Axt eine Fensterscheibe einschlägt und sich so den Weg frei macht. Er heult wie ein Wolf, gdzie ta suuuuuka, wo ist die Huuuure? Peresada, der kleine aber kampfbewährte Mensch, ergreift ohne Zögern die Initiative und schleudert Kaziuk einen Tisch vor die Beine, den dieser sogleich mit der Axt zerschlägt. Siekierezada an anderer Stelle, im Innenraum. Beim Publikum überwiegt schon bald die Neugier gegenüber dem Schrecken, die trunken lachende Frau nimmt eine führende Stellung ein. Der kleine Peresada und der riesige Kaziuk, wie einst David und Goliath. Der nächste Tisch steht schon zum Zerschlagen bereit und so weiter und sofort, bis Kaziuk die Kräfte ausgehen. Nun aber Fajrant (die polnische Kurzfassung des deutschen Feierabend) sagt Peresada freundlich, nimmt Kaziuk die Axt ab, legt ihm einen Arm um die Schulter und führt ihn beiseite. Der Tisch, an den weiter der die Welt verurteilende Junge lehnt, war außerhalb der Gefahrenzone geblieben, die ganze Zeit hatte der Junge weiter geschaut, ohne jedwede Nachsicht, in grausamer Kälte. Warum hatte man ihn nicht längst altersgerecht zum Schlafen geschickt? Die Frage der Sachschadenbegleichung hinsichtlich des zerschlagenen Mobiliars bleibt zunächst ungeklärt, fünf Tische, zwei Sessel und eine Fensterscheibe.

Byli to ci dwaj, zwei feindselige Augenpaare richten sich immer wieder auf Pradera, sollten es die dieselben beiden Männer sein, die Jahrzehnte später in Venedig und in Verona dem Dichter aus dem Allgäu schon mehrfach begegnet waren und bei jeder Gelegenheit zu ihm herüberschauten? Wer kann es wissen. Was haben die zwei an Pradera auszusetzen, sind es die glitzernden Knöpfe an seiner Douglasjacke, oder ist es einfach der Umstand, daß er kein Einheimischer ist? Jedenfalls gilt, wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch, Michał Kątny tritt in Erscheinung und fragt in lässig drohendem Ton für alle hörbar: Soll ich unsere Leute herbeiholen? Die beiden Männer ziehen sich nach kurzem Überlegen wort- und tatenlos zurück. Pradera wird Michał Kątny nach seiner Abreise aus Bobrowice nicht wiedersehen, den Dichters wird er weiter begleiten.

Wäre die Zabawa, die Lustbarkeiten nach Praderas ursprünglichen Wünschen und Erwartungen verlaufen, wäre sie wohl kaum ein eigenes Kapitel wert gewesen. So aber, mit dem Unerwarteten, mit dem ohne Nachsicht die Welt verurteilenden Jungen, mit der das Lachen korrumpierenden trunkenen Frau, mit Kaciuks Siekierezada im häuslichen Innenbereich, mit der fremdenfeindlichen Zwei gibt es erheblich mehr zu erzählen als ursprünglich erwartet, nur ein schwacher Abglanz kann hier wiedergegeben werden. Zusätzlich war im übrigen der Diebstahl von zwei vor dem Wagenschuppen abgestellten Pferden zu beklagen und bei Sonnenaufgang eine Schlägerei zwischen jungen Männern aus Czerniawa und Burschen aus Hopla. Pradera selbst zieht rückblickend in knappen Worten das Resümee. 
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Die Bauern und die Holzknechte saßen gruppenweise beieinander, für sich allein saß der Jäger Hans Schlag, kein Vergleich, so scheint es, mit den ausufernden Lustbarkeiten in Bobrowice. Folgt man allerdings dem Jäger und der Romana in den Holzschopf, sieht es schon anders aus. In derselben Nacht noch zerstört der Engelwirt Sallaba die gesamte Einrichtung der Gaststube, das geht deutlich über Kaciuks Zerstörungsergebnis hinaus. Nährt man ferner den Verdacht, daß der Unfalltod des Jägers kein Unfalltod war, wäre auch das Pradera nachstellende kriminelle Duo übertrumpft. Offenbar versteht man auch im Allgäu Feste zu feiern.

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