Samstag, 22. Januar 2022

Kunstbetrachtung

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In seinem Tagebuch vermerkt Gombrowicz, Musikern würde er sagen, daß er von Musik nichts hält, Malern Entsprechendes zur Malerei. Jedenfalls sei es ein Unding, in Galerien und Kunstmuseen ein Bild neben das andere zu hängen und ganze Wände damit aus zufüllen. Bernhards Reger in Alte Meister wäre demnach halbwegs exkulpiert, er betrachtet immer nur wieder das eine und selbe Bild, Tintorettos Weißbärtigen Mann. Noch einen Schritt weiter geht Prousts Bergotte, ihm geht es nicht um Vermeers Ansicht von Delft als Ganzes, sondern nur um ein winziges Detail, einen kleinen, kaum zu entdeckenden Mauerfleck. Ähnlich geht es dem Dichter bei Giottos Beweinung Christi nicht um die Beweinung, sondern nur um die über dem Szenario schwebenden lautlos klagenden Engel und bei den Engeln vor allem anderen um die wenigen hellgrünen Spuren der Veroneser Erde auf ihren Flügeln, nicht leichter auszumachen als Vermeers Mauerfleck. Auf keine Weise ist der Dichter zu bewegen, die Kunstwerke eingebunden in einen Touristenschwarm zu bewundern. Die Mesnerin der Chiesa Sant’Anastasia öffnet allein für ihn das Hauptportal und beleuchtet das Fresco, das der Maler Pisanello über dem Eingang zur Kapelle gemalt hat. Immer auch geht es nur um ein bestimmtes einzelnes Gemälde und nicht um das gesamte Angebot eines Museums. Die mit dem Ausdruck völliger Verständnislosigkeit durch die Londoner Nationalgalerie wandernden Besucher läßt er zunächst vorüberziehen, um sich dann ganz der Betrachtung des Pisanello-Bildes San Giorgio con capello di paglia zu überlassen. Gombrowicz‘ Ansprüchen ist, was die Malerei anbelangt, soweit wie möglich Genüge getan.

 

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