Mittwoch, 7. August 2019

Delfini

Euskara

Warum hat der Dichter so spät sein erstes Prosawerk geschrieben und veröffentlicht? Lange war er beruflich mit den Schriften anderer beschäftigt, und irgendwann muß der Verdacht aufgekommen sein, er könne es womöglich besser als sie. Proust hat sein Zögern immer wieder thematisiert, jeden Morgen hat er geschworen, heute an den Schreibtisch und ans Werk zugehen, um dann doch wieder einer Einladung der Marquise X oder des Grafen Y zu folgen. Er mußte die Zeit, seine Zeit, auch in dieser Hinsicht verlieren, um sie dann wieder einholen zu können. Antonio Delfini, den Giorgio Agamben einen großen italienischen Scrittore italiano des Novecento nennt, beschreibt seine Lage ganz ähnlich: Se avessi avuto altri amici, o non li avessi affato, sarei diventato un gran narratore, prima dalla caduta del fascismo; e dopo lo sarei rimasto. Ma è probalile che se non avessi avuto gli amici che ho avuto, io non avrei mai scritto un racconto o un quasi racconto. Was zunächst nach Klage und Anklage klingt, erweist sich als Dilemma ähnlich dem des Helden Bernhards in Beton, der in der Anwesenheit seiner Schwester nicht schreiben kann, in ihrer Abwesenheit aber schon gar nicht.

Delfinis bekanntestes Buch ist Il ricordo della basca. Es handelt sich um eine Sammlung von zehn (dieci) Erzählungen und einer Einleitung, Introduzione, die, leicht übertrieben, auf die gleiche Seitenzahl kommt wie die zehn Erzählungen zusammen. Tatsächlich handelt es sich um eine zwanzig Jahre nach den Erzählungen geschriebene Autobiographie in Kürze, ähnlich furios vorgetragen wie Modianos Un pedigree und vielleicht die schönste Erzählung unter den Erzählungen. Delfini hat nicht spät angefangen mit dem Schreiben, aber er hat wenig geschrieben. Die Introduzione vermittelt den Eindruck, als habe er in seinem Leben überhaupt wenig anderes getan, als, mit wenigen Ausnahmen, nichts zu schreiben. Agamben benennt Delfini als Zeuge für seine linguistische Theorie, wonach eine Sprache erst zu sich kommt, wenn sie jede Bedeutung verliert. Er selbst, Agamben, sei hingerissen von Büchern, die er nicht versteht, die er nur so verständnislos wie ekstatische buchstabiere. Delfini schließ die Erzählung Il ricordo della basca aus dem Erzählband Il ricordo della basca mit einem Vers in baskischer Sprache, einer Sprache, die, abgesehen von einigen Basken, niemand versteht und somit eine ideale, nur ekstatisch buchstabierbare Sprache im Sinne Agambens: Ene izar maitea ene charmagarria ichilik zureikhustera ytennitzaitu leihora: koblatzen dudalarik zande lokharturik: gabazko ametsa bezala ene kantua zaitsula. Delfini mußte noch nicht mit der hinterhältigen Möglichkeit der automatischen Übersetzung rechnen, die dann doch einen, wenn auch möglicherweise irreführenden Abglanz des Verses vermittelt: Mein lieber Stern, mein bezaubernder kleiner Stern schloß meine Sicht zum Fenster. Während ich träume, schläfst du ein: du singst mich wie einen Traum.

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