Dienstag, 27. August 2019

Heiligkeit

Einst und jetzt

An der Heiligkeit der frühen Heiligen ist nicht zu zweifeln, sie sind kanonisiert, das nach Jahrhunderten zu messende Alter spricht für sie und mehr noch die Bilder. Nehmen wir den Patron der Herden, Hirten und Aussätzigen, den heiligen Antonius. Er trägt ein tiefrotes Kapuzenkleid und einen weiten erdbraunen Umhang. In der Hand hält er eine Schelle. Ein zahmer, zum Zeichen der Ergebenheit ganz an den Boden geduckter Eber liegt ihm zu Füßen. Sicher und unverrückbar steht er da in seiner Heiligkeit. Ein Sonderfall ist ohne Frage der heilige Georg. Schon bei Grünewald schickt er sich an, über die Schwelle des Rahmens und damit aus der Gemeinschaft der Heiligen heraustreten. Nicht ohne Grund schaut der heilige Antonius daher mit strengem Blick auf die glorreiche Erscheinung des Ritters, der ihm gerade gegenübergetreten ist und von dem etwas herzbewegend Weltliches ausgeht. Das Weltliche gewinnt immer mehr die Oberhand, bis in die Neuzeit, in der Georg unter dem Decknamen Giorgio Santini den Beruf eines Hochseilartisten ausübt. Die Eskapaden haben ihm nicht geschadet, er ist nach wie vor einer der beliebtesten Heiligen und macht in seiner reformierten Erscheinung vor allem Mut, was die Heiligkeit in diesen unseren Tagen anbelangt. Die unlängst frisch Kanonisierten allerdings können kaum überzeugen, zu alltäglich und banal starren uns ihre Photographien an, und auch ein auf dem Kopf stehendes Bild von Baselitz brächte die Heiligkeit nicht zuverlässig zum Ausdruck. Der Dichter beobachtet das nichtkanonisierte Heiligwerden der Ashburys denn auch ohne Bildbeigabe, jeder mag sich nach eigenem Vermögen vorstellen, wie Mrs. Ashbury bei ihrer nur halb gelungenen Himmelfahrt im Plafond steckenbleibt. Die Heiligkeit ist im übrigen ein frühes Feld der Gleichberechtigung, die heiligen Frauen nicht weniger bedeutend als die heiligen Männer, man denke an die heilige Thekla, an die heilige Teresa von Avila, Ciorans Liebling, und alle überragend, eigentlich schon nicht mehr heilig, sondern göttlich, die Mutter Jesu, Madre de Dios, Mam Duw. Grundsätzlich der Heiligkeit verdächtig sind die Ordensschwestern, so auch die Franziskanerin im Zug nach Mailand. Die Schwester las ihr Brevier, das buntgekleidete Mädchen ihr gegenüber, nicht minder versenkt, einen Bilderroman. Von vollendeter Schönheit waren sie beide, abwesend und anwesend zugleich, und zu bewundern war der tiefe Ernst, mit dem sie jeweils die Blätter umwendeten. In der schönen Eintracht von Nonne und Weltkind findet sich die vom heiligen Georg geprägte Verbindung von Heiligkeit und Weltlichkeit wieder. Photos der beiden Schönen bleiben uns mit Bedacht vorenthalten, ihre Schönheit erwächst aus den Worten. Bei der Mathild Seelos sind keimende Heiligkeit und Weltlichkeit in eine zeitliche Abfolge gebracht. Unmittelbar vor dem ersten Krieg ist sie in das Regensburger Kloster der Englischen Fräulein eingetreten, hat das Kloster aber noch vor Kriegsende unter eigenartigen Umständen wieder verlassen und einige Monate lang, in der roten Zeit, in München sich aufgehalten. Zur Synthese kommt es dann in ihrer Bibliothek, neben zahlreichen religiöse Werke spekulativen Charakters, Gebetsbücher aus dem 17. und frühen 18. Jahrhundert mit zum Teil drastischen Abbildungen der uns alle erwartenden Pein finden sich, mit den geistigen Schriften vermischt, Traktate von Bakunin, Fourier, Bebel, Eisner, Landauer sowie der biographische Roman von Lily von Braun. Ihr Leben gleicht fortan dem einer säkularen Privatordensfrau, ob das zur Heiligsprechung reicht, ist fraglich, Heiligsprechung aber ist auch nicht angestrebt.

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