Sprachabstimmung
Agamben zitiert eine Notiz aus Benjamins Begriff der Geschichte, wonach Sonntagskinder die Sprache der Vögel verstehen. Es ist wohl eine überkommene, von Benjamin nur weitergereichte Erkenntnis. Sebald ist an einem Donnerstag geboren, und so stellt sich die Frage, wie der Gedankenaustausch mit den Dohlen und der weißköpfigen Amsel in den Anlagen vor dem Wiener Rathaus zustande kommen konnte. Eine besondere Nähe von Donnerstag und Sonntag und eine darauf beruhende Verwechslung, Donnerstagskind als Sonntagskind, ist auszuschließen. Unter der, nicht gegebenen, Bedingung, daß der Donnerstag Donntag hieße, wäre allenfalls eine akustische Überlagerung denkbar. Wenn man sich also nicht in der Vogelsprache unterhalten kann, dann vielleicht in der Menschensprache, aber selbst mit sogenannten sprachbegabten Vögeln ist eine gehaltvolle Konversation nicht möglich. Er habe einiges geredet, formuliert der Dichter denn auch vorsichtig, die Vögel werden einen Beitrag in ihrer eigenen Sprache geleistet haben. Man kennt das aus den Gesprächen mit seiner Katze, jeder redet auf den anderen ein, ohne daß man einander verstehen würde, und doch wird bei dem Wortwechsel ein gewisser gemeinsamer Verständnisbereich freigelegt. Die Sprache wird bei Mensch und Tier tradiert von den Eltern auf die Kinder und so fort, für die Menschen ist sie ist das Rückgrat der Geschichte, der mögliche Beginn von Geschichte oder doch der Illusion von Geschichte als Ergänzung der Evolution. Dohlen und Amseln haben keine Geschichte, nur das bloße gefiederte Leben, nur das bloße, das nackte Leben, kein Grund der Geringschätzung.
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