Dienstag, 14. April 2020

Drei

Dyddiadurwr

down the hill towards the Welsh-speaking sea
Thomas Bernhard, geb. Februar 1931, gest. Februar 1989, W.G. Sebald, geb. Mai 1944, gest. Dezember 2001, Richard Jenkins, ganwyd mis Tachwedd 1925, bu farw mis Awst 1984 als Richard Burton, drei bedeutende Kunst- und Kulturschaffende, die das sechzigste Lebensjahr knapp verfehlt haben. Burton ist in dem Trio nicht der Fremdkörper, als der auf den ersten Blick erscheinen mag, wird doch im Wicipedia Cymreig für sein Tätigkeitsfeld neben Film- und Bühnenschauspieler ausdrücklich auch Dyddiadurwr, Tagebuchschreiber, angegeben. Burtons posthum veröffentlichte Tagebücher haben einen Umfang von mehr als 700 Seiten, bei einem etwas großzügigeren und augenfreundlicheren Drucksatz wären es deutlich mehr als 1000 Seiten, Seiten von überraschender Sprachkraft. Nicht jeder Satz ist kostbar, man überblättert den einen oder anderen Eintrag, ein Impuls aber, die Lektüre vorzeitig zu beenden, bleibt aus.

Das Tagebuch hat drei Abteilungen, das Jahr 1940, die übersprungene Zeit von 1940 bis 1960 und die dann wieder einsetzenden Eintragungen aus der Taylor-Zeit und darüber hinaus. Im Jahr 1940 hinterlegt der vierzehnjährige Schüler Richard Jenkins, well before he could have had any inkling of what awaited him in life, in altersgerechter und schöner Monotonie (undonedd) täglich eine Eintragung von zwei, drei Zeilen in einem kleinen, von vornherein nur auf ein Jahr bemessenen Tagebuch, das er zu diesem Zweck geschenkt bekommen hatte. Themen sind die Schule, Noten, verschiedene Sportaktivitäten, der Krieg, die Familie, Ärger mit den Geschwistern oder dem Ziehvater und der regelmäßige Besuch der Chapel, oft morgens, mittags und abends, Chapel all day, Capel trwy'r dydd. Eine religiöse Nachwirkung des intensiven Kirchenbesuchs ist später nicht auszumachen, Gottvertrauen stellt sich nicht ein – I wish I could believe in a God of some kind but I simply cannot – kein Gottvertrauen, aber auch kein säkularer Optimismus, vielmehr ein Menschheits- und Geschichtspessimismus, der dem Sebalds nicht nachsteht, the last sound to be heard on this planet will be a man screaming in fear and terror, it might be me. Was die Melancholie anbelangt, ist der Führungsanspruch der Kelten ohnehin unbestritten. Burton diagnostiziert an sich das Lawnslot-Syndrom: alles Glück der Welt und zugleich terribly unhappy. Noch einmal zurück zur Jugendzeit: Auf einem Photo der Rugbymannschaft der Port Talbot Schule, nicht unähnlich dem Photo, das Austerlitz als Mitglied einer Rugbymannschaft zeigt, ist der Flügelstürmer Richard Jenkins zu erkennen. Mit der Notiz vom 30.12. 1940 enden die Eintragungen und werden erst 1960 und ernstlich erst 1965 wiederaufgenommen und, mit zahlreichen weiteren Unterbrechungen, bis zum Tod im Jahr 1984 weitergeführt. Einerseits würde man gern die zwanzig Jahre von 1940 bis 1960 näher verfolgen, andererseits hat aber auch der abrupte Sprung vom walisischen Schüler Richard Jenkins zum Hollywoodstar Richard Burton seinen eigenen Reiz.
Jenkins wurde im kymrischsprachigen, extrem kinderreichen Haus eines einfachen Bergmanns geboren und im Alter von nur zwei Jahren nach dem Tod der Mutter der ältesten, bereits verheirateten Schwester überantwortet. Ein Photo aus dem Jahr 1953 zeigt den nun längst erwachsenen und in Hollywood erfolgreichen Burton unterwegs auf dem Viadukt vom Geburtsort Pontrhydyfen zum Miner’s Arms Pub in Begleitung seines Vaters, allgemein Dic Bach, Little Richard, genannt. Auf dem Bild scheint es, als sei Burton mit seinen knapp hundertachtzig Zentimetern nahezu doppelt so groß wie der Vater, wohl doch eine perspektivische Täuschung. Auf einem weiteren Photo dann sieht man beide, den kleinen und den großen Richard, Dic Bach y Saer und Rich Mawr y Dyddiadurwr, jeder mit einem Peint in der Hand, an der Theke des Miner’s Arms Pub. Ein Photo aus dem Jahr 1958 zeigt Burton zusammen mit Emlyn Williams, Sian Phillips, Clifford Evans und dem damals noch jungen, mittlerweile hundertjährigen Emyr Humphreys bei einer Probe zu Saunders Lewis Brad (Verrat). Walisern ohne Kenntnis der Sprache, wie etwa dem in einem Nachbarort zur Welt gekommenen Anthony Hopkins, hat Burton, ob im Ernst oder im Scherz, das Walisertum abgesprochen. Noch Jahrzehnte später überrascht er sich selbst auf einer Familienfeier sgwrsio Cymraeg, babbling on in Welsh mit seinen Geschwistern und Verwandten zur Verwunderung der anwesenden Kinder und Jugendlichen, die derart seltsame Laute noch nicht gehört hatten, schon gar nicht aus Burtons Mund.

He could not have had any inkling of what awaited him in life, der Lebensraum weitete sich gewaltig für das Kind aus einfachen Verhältnissen, the child of the valleys, y plentyn yn y cymoedd. Die ursprüngliche Erlebensschicht aber verschwindet nicht, you want Pontrhydyfen and the unbelievably bad weather and ten quid a week and the lust for the pint you can’t afford. Der Viadukt, wenn man ihn nur auf dem Photo gesehen hat, erfüllt jeden und auch uns mit Sehnsucht. Seine beeindruckende Lektüreleistung - manchmal möchte er nur noch lesen und nachsinnen über die vergangene und die vergehende Zeit - hätte Burton in Pontrhydyfen ebensogut, wenn nicht besser absolvieren können, eine finanziell bedingte gründliche Reduzierung des Alkoholkonsums wäre für Rich y Meddw hilfreich gewesen. Dwi am briodi'r eneth ma, ich will diese Mädchen heiraten, die Ehe Burton-Taylor schien, so abenteuerlich sie auch begonnen hatte, auf Dauer angelegt. Im Tagebuch ist der Glamour des Paares weniger dominant als das Familienleben mit Kind, Hund und Katze. Die Schauspielerei erfüllt Burton zunehmend mit Abscheu, die Vorstellung gar, auf der Bühne noch einmal die Zeile To be or not to be zu rezitieren mit wahrem Entsetzen: die Weisheit der frühen Griechen, jedes Stück nur einmal auzuführen und dann nicht wieder. But well, I got news for Thomas Wolfe, you can’t go home no more, un ritorno in patria non è possibile, it would feel strange to be R. Jenkins again as it were. Das Leben kennt keine Umkehr allenfalls kann man wie Proust das Leben zugunsten des Schreibens hintanstellen, aber gilt das nicht für alles Schreiben, auch für das des Dyddiadurwr, ist das Schreiben nicht immer eine Verwandlung des Lebens in Schriftzeichen?

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