Sonntag, 5. April 2020

Unter Corona

Unerwartet


Niemand mehr lagert in der Bahnhofshalle oder draußen auf dem Vorplatz, das Heer von Touristen in ihren Schlafsäcken auf Strohmatten ist verschwunden. In den Orten am Gardasee schieben sich keine buntfarbene Menschenmassen mehr durch die engen Gassen, keine Lemurengesichter mehr, verbrannt und bemalt, wie sie waren, unkenntlich wie hinter einer Maske. Der Erzähler, Adroddwr, ist im Hotel Sole in Limone geblieben. Abgesehen von anderen Schwierigkeiten kann er ohne seinen Paß nicht ausreisen, das deutsche Konsulat in Mailand ist geschlossen. Kurzreisen nach Padua, Verona oder gar Vemedig wären, wenn denn überhaupt möglich, sinnlos. Die Mesnerin von Sant’Anastasia wird das Kirchenportal nicht öffnen, die Kapelle des Enrico Scrovegni ist geschlossen, ebenso der Giardino Giusti. Die Wächterinnen und Dienstfrauen haben ihre engen Gehäuse verlassen und sind jetzt bei ihren Familien. Malachio wäre an der Riva degli Schiavone nicht anzutreffen, er ist eher in Jerusalem als in Venedig. Adroddwr erhält im Hotel Sole weiter sein Frühstück und seine Abendmahlzeit. Den Tag über serviert Luciana, wie er es weiterhin wünscht, in regelmäßigen Abständen einen Ristretto und ab und zu ein in eine Papierserviette gewickeltes Toastbrot. Luciana ist weiterhin sehr aufgeschlossen und den Gast offenbar zugeneigt. Sie hat es nicht eilig und knüpft oft eine kleine Unterhaltung an. Ihre Feriengäste sind abgereist. Adroddwr schreibt ohne Unterlaß, er entbehrt nichts. Wie lange wird der Zustand anhalten? Er sorgt sich um Ernst Herbeck, wie wir uns um alle sorgen um die, die in Heimen wohnen. Er sorgt sich auch um die Familie Michelotti, die von nur einem Gast nicht längere Zeit existieren kann.

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