Samstag, 18. April 2020

Berufliche Eignung

Paranoid
Die Autoren des Genres sind sich einig, ein Privatdetektiv darf niemandem vertrauen, aber auch nicht allen mißtrauen. Irgendjemandem blauäugig zu vertrauen wäre erkennbar berufswidrig, allen zu mißtrauen führt geradewegs in die Paranoia. Dem Privatdetektiv angemessen ist eine gelassene und zugleich gespannte Aufmerksamkeit, er muß sich trauen, ohne Vorsilbe, Figuren wie Lew Archer und Philip Marlowe werden dieser Anforderung gerecht. Adroddwr, der Erzähler, gibt sich erst während der zweiten Italienreise, im Gespräch mit Luciana Michelotti, als Kriminalautor zu erkennen, während der ersten Reise war er den verbrecherischen Vorgängen nicht gewachsen gewesen, hatte das Gleichgewicht zwischen Vertrauen und Mißtrauen nicht bewahrt. Von den fraglichen Verbrechen war er zunächst nur beiläufig berührt worden, doch dann findet er im Bahnhof Venedig zwei Augenpaare auf sich gerichtet und an den folgenden Tagen an anderen Orten wieder und wieder, so scheint es ihm,  dieselben Augen derselben beiden jungen Männer. Er weist unverkennbar paranoide Züge auf und flüchtet schließlich aus Italien. Möglicherweise ist er nicht grundlos geflohen, denn, wie Charles Bronson in einer Filmszene klarstellt, auch Menschen mit Verfolgungswahn können verfolgt werden.

Der Erzähler habe, so heißt es, die Reise von Wien über Venedig nach Verona sieben Jahre später noch einmal gemacht, um seine schemenhaften Erinnerungen an die damalige gefahrvolle Zeit genauer zu überprüfen. Der Tatbestand wäre härter und offener zu formulieren, es geht ihm darum, die liegengelassene kriminalistische Arbeit in eigener Sache als Detektiv ohne Mandat erneut aufzunehmen. Er versucht, Tatortphotos zu beschaffen, befragt Zeugen, das Alltagsbrot des Detektivs, die großen Erfolge bleiben aus. Der Detektiv braucht, wenn nicht befreundete Polizisten, so doch zumindest einen gut informierten und auskunftswilligen Journalisten, der sich in der Person Salvatore Altamuras auch tatsächlich einstellt. Altamura berichtet detailliert über die Verbrechen der Organisation Ludwig und die polizeilichen Fahndungserfolge. Der Erzähler verzichtet darauf, nach einem Photo des Verbrecherduos zu fragen, um ihre Augen zu vergleichen mit den Augenpaaren, die sieben Jahre zuvor auf ihn gerichtet waren. Der Erzähler ist in eigener Sache ohne Honorar und Spesenerstattung tätig, er kann ohne Rücksprache mit irgendwem den Zeitpunkt bestimmen, an dem er die Recherche eingestellt. Wiederholt hat Marlowe Berufskollegen getroffen, die ihrer Aufgabe nicht gewachsen waren und das mit dem Leben bezahlen mußten. Es ist also nur recht und billig, wenn Adroddwr sich  aus der kriminalistischen Berufs- und Literatursparte zurückzieht, bevor es zu spät ist.

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