Banal oder auch nicht
Anders ist die Lage in Osteuropa. Der gemeinsame
Tagesausflug von Witek, mit vollem Namen Wincenty Różański, und dem Erzähler
Edmund Szerucki, Edward Stachura sehr ähnlich, nimmt den rund sechzigseitigen
Mittelteil des insgesamt nicht ganz hundertachtzig Seiten starken Romans Cała
Jaskrawość in Anspruch. In der
Erzählung Jasny pobyt nadrzeczny (Heller Aufenthalt
am Flußufer) hatte Stachura ein Bild extremer Einsamkeit gezeichnet. Er phantasiert sich ein Double irgendwo im
All, in einer fernen Galaxie, auf einem der Erde ähnlichen Planeten. Gibt es dort einen ähnlichen Ort am Fluß, eine ähnliche Hütte,
eine ähnliche einfallende Nacht, ein ähnliches Feuer, ein junger Mann wie er beim
Feuer, der in diesem Augenblick an ihn denkt, wie er an ihn, in diesem
Augenblick? Witek und Edmund sind zu zweit, also nicht einsam, beide sind
Autoren, Dichter, davon ist aber nicht die Rede und wenig zu spüren. Stachura
zielt in seiner Prosa immer auf das banalste Geschehen. Dabei wird aber
ausdrücklich hervorgehoben, daß jeder banale Augenblick, wenn man ihn nur
intensiv erlebt, sich in einen feierlichen Augenblick verwandeln kann, wie ja andererseits anberaumte Feierlichkeiten fast regelmäßig der Banalität verfallen. Viele
Augenblicke wären für Höheres berufen, fallende Herbstblätter etwa, aber nur wenige werden
aufgerufen, die unverzichtbare Banalität des Banalen bleibt gesichert. Dazu
helfen etwa dumme Scherze, die gern auch hartnäckig wiederholt werden: ad
rem, wie man in Litauen sagt, oder: gut, aber nicht hoffnungslos i
tak dalej. Edmund und Witek sind als geringverdienende Gelegenheitsarbeiter in
einem Kurort mit der Reinigung Teichs beschäftigt, hätten wir es mit einem
außenstehenden, unbeteiligten Erzähler zu tun, wären die beiden aus dessen Sicht sozusagen
gleichberechtigt. Gleichberechtigt bleiben sie auch, solange die Außenwelt
betrachtet wird. Keiner der beiden raucht eine Zigarette, ohne daß der andere ihm folgt, keiner trinkt allein einen Wodka. Beim Wodka sind sie
allerdings zu dritt, weil der Wodka, wie wir erfahren, seinerseits ein Mensch
ist, mit dem man reden kann. Edmund ist aber nicht nur Arbeiter, Raucher und
Trinker, er ist auch der Icherzähler. Als solcher bleibt er nicht wie Sebalds
Erzähler vorwiegend Betrachter der Außenwelt, sondern vertieft sich immer
wieder in sein Inneres, schwankend zwischen Depression (smutek) und
Erleuchtung: cała jaskrawość, ein Verglühen der Dunkelheit für den
Augenblick. Generell gilt für die banale Welt, und das ist die Aussage, daß sie, wenn man nur die Augen öffnet, ein metaphysischer Platz ist. Immer, wenn es für
einen Augenblick scheint, wir stünden auf festen Füßen, gleiten wir ab. Man
faßt aber auch wieder Fuß. Die Erzählung ist durchsetzt von banalen Erlebnissen
ohne Zusammenhang, um einige zu nennen: der feuergefährdete Bus; der doppelte
Blumenverkauf; unter einem Baum liegend die Aktentasche mit amtlichen Briefen;
die erfolglose und ohne bekannten Anlaß durchgeführte Suche nach einem gewissen
Grzybowski; die herumsitzenden Kurgäste ohne Leselust, keine Zeitungen,
geschweige denn Bücher; die Kassiererin mit dem ungewöhnlichen Gedächtnis; die
Talfahrt der Mädchen auf einer Schubkarre i tak dalej: Einzelheiten, eine jede separat und für sich, keine romanhafte Erzählung. Eine romanhafte Dimension nimmt
allein das Warten auf Wind und Sturm an. Unterstützt vom sehnlich erwarteten
Sturm bringen Witek und Edmund die alte Scheune zu Fall, die Babcia Potęgowa im
kommenden Frühjahr ohnehin entfernen lassen wollte. Ohne Ahnung von der freundlichen Hilfe und voller
Unschuld kann Babcia Potęgowa jetzt bei der Versicherung einen Sturmschaden geltend
machen und auf eine Entschädigung von ca. 3000 Złotych hoffen. Witek und Edmund
erhalten für ihre Arbeit im Teich je 980, exakt gesagt je 981 Złotych. Edmund
hatte zwischenzeitig vergessen, daß Geld im Spiel war, Witek mußte ihm auf die
Sprünge helfen.
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