Neuorientierung
Der Höhepunkt
des Aufschwungs des in allen Ländern als ein an Unternehmergeist und
Fortschrittlichkeit nicht zu überbietenden Industriejerusalems ist der Bau des
Schiffahrtkanals in den Jahren 1887 bis 1894 gewesen. Durch die Vollendung des
gigantischen Kanalprojekts war Manchester zum größten Binnenhafen der Welt
aufgestiegen. Der Schiffahrtsverkehr hatte um 1939 seinen Höhepunkt erreicht
und war dann bereits gegen Ende der fünfziger Jahre völlig zum Erliegen
gekommen. Was man später gebaut hatte, um den allgemeinen Zerfallsprozeß
aufzuhalten, war selbst schon vom Zerfall bedroht, ja, sogar die sogenannten development
zones am Rand der Innenstadt und entlang des Schiffahrtskanals schienen
schon wieder halb aufgegeben. – Nicht nur an diesen, aber auch an diesen
Ausführungen zeigt sich, daß der Dichter, was Moderne
und Industrialisierung anbelangt, kaum positive Erwartungen hatte. Bruno Latour hat schon sehr früh die Folgen wie Klimawandel,
Überbevölkerung, Hyperkonsum etc. wahrgenommen und besprochen, in Où suis-je
nutzt er die dank der Pandemie sich einstellende relative Ruhe für
vertiefte Überlegungen. Wohin überhaupt kann er noch schauen, wenn die
Corona-Regelungen ihm wieder einmal erlauben, für kurze Zeit vor die Tür zu treten? Auf die Sonne? Die Wärme, die sie
spendet, läßt sich nicht genießen, ohne an die Klimaerwärmung zu denken. Auf
die Bäume, die sich im Wind bewegen? Verdrießt durch den Gedanken, daß sie vertrocknen
oder unter der Säge enden. Auf den Regen, der aus den Wolken fällt? Du weißt,
daß bald überall Wasser fehlen wird. Die Landschaft betrachten? Unkraut- und
Insektenvernichtungsmittel haben die Landschaften längst in Wüsteneien
verwandelt. Heil und unberührt bleibt allein nur der Mond, er ist das einzige lohnende Ziel andächtiger Betrachtung. In der Einsamkeit des Lockdowns kommt
Latour sich zunehmend vor, als sei er der verwandelte Gregor Samsa, und plötzlich wird
im klar, die Verwandlung wäre der richtige Schritt, sind doch die Insekten in ihrem
Verhalten weitaus umweltgerechter als der Mensch. Mehr als zwanzig Jahre zuvor
war der Dichter zu dieser Erkenntnis noch nicht endgültig vorgedrungen. Noch nicht erholt
von seiner Krankheit, steht er gegen die Glasscheibe des Spitals gelehnt und muß
unwillkürlich an den armen Gregor denken, der mit zitternden Beinchen an die
Sessellehne sich klammernd aus seinem Kabinett hinausblickt in undeutlicher
Erinnerung an das Befreiende, das früher einmal für ihn darin gelegen war, aus
dem Fenster zu schauen. Und genau wie Gregor mit seine trüb gewordenen Augen die
stelle Charlottenstraße nicht mehr erkannte, so schien auch ihm, dem Dichter,
die vertraute Stadt vollkommen fremd. Weiter Folgerungen im Sinne Latours
bleiben aus, obwohl sie gleichsam schon an der Türschwelle stehen.
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