Dienstag, 8. Februar 2022

Winterzeit

Ukraine Rußland Polen

 

Ukraine: Acht Fahrtstunden sind es bis Kazimierowska. Als der Sachlitten anruckte, begann für Korzeniowski eine Winterreise zurück in die Kindheit. Mit sicherem Instinkt fand der junge Kutscher den Weg durch die endlosen, schneebedeckten Felder. Nie, so Korzeniowski, sei er besser gefahren als damals in die sich ausbreitende Dämmerung hinein. Man sah die Sonne über die Ebene sich senken. Eine große, rote Scheibe, senkte sie sich in den Schnee, als ginge sie unter über dem Meer. Geschwind fuhr der Schlitten hinein in die unermeßliche, an den Sternenhimmel angrenzende weiße Wüste, in der wie Schatteninseln die von Bäumen umstandenen Dörfer trieben. Rußland: Das Glück mehrstündiger Schlittenfahrten hat niemand so eindrücklich gepriesen wie Tolstoi in Wojna i mir, ebenso eindringlich aber hat er die Gefahr des sich Verirrens in der tödliche Schneewüste in der Erzählung Metel beschworen. Polen: Pradera ist nicht auf eine Schlittenfahrt eingestellt, er will nicht auf den Bus warten, der ihn zum Bahnhof fahren würde, sondern entscheidet sich für den Fußmarsch durch Feld und Wald. Schon bald aber macht ihm der stärker werdende Schneefall zu schaffen. Ist es nur der Schneefall, oder hat sich der ihn immer wieder überfallende seelische Nebel, mgła, hinzugesellt, ununterscheidbar vom Schneegestöber? Schon ist er so gut wie hilflos. Sieht sich schon nicht mehr als menschliches Wesen, wer weiß, ob er sich überhaupt noch als Wesen sieht, vielleicht sieht er überhaupt nichts mehr, kniet im Nebel des Schnees, weiß nichts mehr, weiß nicht einmal, daß er zur Vernichtung verurteilt ist, zur Auflösung, zum Verschwinden im Nebel. Der seelische Nebel tritt immer plötzlich und unerwartet auf und verschwindet ebenso plötzlich und unerwartet wieder. Noch besteht Hoffnung.

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