Wohlverdiente Ruhe
Jemand, der sich an keinen der Klassenkameraden aus seiner dreizehnjährigen Schulzeit genauer erinnern kann – wären Klassenkameradinnen darunter gewesen, würde die Bilanz wohl günstiger ausfallen -, dem aber die zwei Schäferhündinnen seiner Kindheit so klar vor Augen stehen, als seien sie noch unter den Lebenden, Gitta eher klein und graufarben, Claudia kräftig in verschiedenen Brauntönen, beide furchtlos und erhaben über Banalitäten wie Fressen und Hunger, solange man nur bereit war, mit ihnen über die Höhen und durch die Täler des Teutoburger Waldes zu streifen: ein solcher Jemand also weiß, wenn er die ersten zwei Seiten von Austerlitz gelesen hat und angekommen ist bei dem Waschbären, der seinen Apfelschnitz mit einer weit über jede Vernünftige Gründlichkeit hinaus putzt, er weiß mit Sicherheit, daß er in dieser Prosa ein Zuhause hat. Uwe Schütte hat in seinem neuen Buch, Annäherungen, ein Kapitel der Tierwelt in Sebalds Werk gewidmet. Das Kapitel wird eingeleitet mit einem Photo, das Sebald neben seinem Hund auf einem Sofa zeigt, beide, jeder nach seinem Vermögen, offenbar nachdenkend über sich selbst, über den anderen und über den Grund der Dinge. In der Prosa dominieren aber nicht die engeren Vertrauten des Menschen - Hunde gibt es in überschaubaren Maße, Katzen und Pferde fehlen fast vollständig -, sondern die Vertreter immer niedrigerer Stufen des Tierreiches, von Kleinsäugern über Vögel und Fische bis hin zu Insekten und Raupen verschiedener Machart. Offenbar führt der Weg bewußt über eine immer enger, zerbrechlicher und unscheinbarer werdende Brücke möglichen Verstehens zwischen Mensch und Tier. An einer Stelle, wo von einem träumenden Salatkopf die Rede ist, geht Sebald nach Schüttes Einschätzung zu weit, man mag an dieser Stelle aber auch die allgegenwärtige melancholische Heiterkeit des Dichters spüren, die immer auch mit einer Prise Eigenspott versetzt ist.
Den Salatköpfen und Krauthäuptern jedenfalls widmet Schütte zu Recht kein eigenes Kapitel, wohl aber den Bäumen. Schütte zeichnet realistisch nach, was bei Sebald eher symbolisch überhöht erscheint: die Bäume haben viele Menschen zum Freund, die Menschheit aber als Feind. Den Bäumen ergeht es seit Jahrhunderten so, wie es den Indianern für alle sichtbar im Zeitraffer weniger Jahrzehnte ergangen ist, beseitigt, wo sie im Wege waren, ausgenutzt bis zum Verrecken, wo sie ausgenutzt werden konnten, und massenhaft krepiert an den eingeschleppten Infektionskrankheiten der Usurpatoren. Der Dichter kann nicht auf alles schauen, die Indianer kommen ihm nur einmal kurz als kleine kupfrig glänzende Männer in den Blick. Die Indianer können nicht mehr zurückschlagen, die Bäume schlagen bereits zurück durch ihr pures Verschwinden. An einer Stelle wird der Kapitalismus als Schuldiger ausfindig gemacht, die Arbeiter- und Bauernstaaten wollten den Bäumen aber keine bessere Perspektive bieten. So hatten die futuristischen Kommunisten Rußlands vorgeschlagen, das ganze unnütze Sibirien mit all seinen Bäumen, Sträuchern und Kräutern einzuebnen und zu asphaltieren, damit man nach der Natur endlich seine Ruhe habe.
Jemand, der sich an keinen der Klassenkameraden aus seiner dreizehnjährigen Schulzeit genauer erinnern kann – wären Klassenkameradinnen darunter gewesen, würde die Bilanz wohl günstiger ausfallen -, dem aber die zwei Schäferhündinnen seiner Kindheit so klar vor Augen stehen, als seien sie noch unter den Lebenden, Gitta eher klein und graufarben, Claudia kräftig in verschiedenen Brauntönen, beide furchtlos und erhaben über Banalitäten wie Fressen und Hunger, solange man nur bereit war, mit ihnen über die Höhen und durch die Täler des Teutoburger Waldes zu streifen: ein solcher Jemand also weiß, wenn er die ersten zwei Seiten von Austerlitz gelesen hat und angekommen ist bei dem Waschbären, der seinen Apfelschnitz mit einer weit über jede Vernünftige Gründlichkeit hinaus putzt, er weiß mit Sicherheit, daß er in dieser Prosa ein Zuhause hat. Uwe Schütte hat in seinem neuen Buch, Annäherungen, ein Kapitel der Tierwelt in Sebalds Werk gewidmet. Das Kapitel wird eingeleitet mit einem Photo, das Sebald neben seinem Hund auf einem Sofa zeigt, beide, jeder nach seinem Vermögen, offenbar nachdenkend über sich selbst, über den anderen und über den Grund der Dinge. In der Prosa dominieren aber nicht die engeren Vertrauten des Menschen - Hunde gibt es in überschaubaren Maße, Katzen und Pferde fehlen fast vollständig -, sondern die Vertreter immer niedrigerer Stufen des Tierreiches, von Kleinsäugern über Vögel und Fische bis hin zu Insekten und Raupen verschiedener Machart. Offenbar führt der Weg bewußt über eine immer enger, zerbrechlicher und unscheinbarer werdende Brücke möglichen Verstehens zwischen Mensch und Tier. An einer Stelle, wo von einem träumenden Salatkopf die Rede ist, geht Sebald nach Schüttes Einschätzung zu weit, man mag an dieser Stelle aber auch die allgegenwärtige melancholische Heiterkeit des Dichters spüren, die immer auch mit einer Prise Eigenspott versetzt ist.
Den Salatköpfen und Krauthäuptern jedenfalls widmet Schütte zu Recht kein eigenes Kapitel, wohl aber den Bäumen. Schütte zeichnet realistisch nach, was bei Sebald eher symbolisch überhöht erscheint: die Bäume haben viele Menschen zum Freund, die Menschheit aber als Feind. Den Bäumen ergeht es seit Jahrhunderten so, wie es den Indianern für alle sichtbar im Zeitraffer weniger Jahrzehnte ergangen ist, beseitigt, wo sie im Wege waren, ausgenutzt bis zum Verrecken, wo sie ausgenutzt werden konnten, und massenhaft krepiert an den eingeschleppten Infektionskrankheiten der Usurpatoren. Der Dichter kann nicht auf alles schauen, die Indianer kommen ihm nur einmal kurz als kleine kupfrig glänzende Männer in den Blick. Die Indianer können nicht mehr zurückschlagen, die Bäume schlagen bereits zurück durch ihr pures Verschwinden. An einer Stelle wird der Kapitalismus als Schuldiger ausfindig gemacht, die Arbeiter- und Bauernstaaten wollten den Bäumen aber keine bessere Perspektive bieten. So hatten die futuristischen Kommunisten Rußlands vorgeschlagen, das ganze unnütze Sibirien mit all seinen Bäumen, Sträuchern und Kräutern einzuebnen und zu asphaltieren, damit man nach der Natur endlich seine Ruhe habe.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen