Dialekt und Weihrauch
Wer, in Bielefeld geboren, später erfahren hat, daß es die Stadt Bielefeld nicht gibt, ist den Schwierigkeiten im Umgang mit dem Heimatbegriff im Prinzip entkommen. Es bleibt die Frage, wo und wie er, zumindest rudimentär, die deutsche Sprache erlernt hat. In den Dörfern um Bielefeld, denen die Existenz nicht abgesprochen wird, Thesen, Stiegholz, Jöllenbeck, wie immer sie heißen, sprachen die alten Leute, wenn sie unter sich waren, damals Plattdeutsch, in der nächsten Generation hat sich diese Sprache dann verloren, und manchen mag es noch heute schmerzen, die Gelegenheit verpaßt zu haben, diese wirklich schöne Mundart sozusagen kostenlos und wie im Flug zu erlernen.
So ausgerüstet fällt es dem Ostwestfalen schwer, sich Sebalds Heimatbild zu nähern, selbst wenn er sich zunächst allein an die Figur des Erzähler hält, der dem Autor ähnlich, keineswegs aber mit ihm identisch ist. Im übrigen legen Autor und Erzähler, wie sie, sicher nicht ohne Augenzwinkern, zu erkennen geben, auf das Verständnis eines Norddeutschen keinerlei Wert: die Seelos Regina hat nach Norddeutschland geheiratet, mehr gibt es über sie nicht zu sagen, sie ist aus der Welt gefallen. Wenn der Erzähler auf Reisen Touristen begegnet, sind es nahezu ausnahmslos ehemalige Landsleute, Schwaben, Franken und Bayern, und fast noch mehr als die unsäglichen Dinge, die sie reden, sind ihm die auf das ungenierteste sich breitmachenden Dialekte zuwider. Der weit hinten im Hals wie eine Vogelsprache artikulierten Dialekt aus dem benachbarten Tirol wird gleich mit in die Verdamnis geschickt. Man vergleiche das etwa mit der Sprachverständnis Claude Vigées, der wunderschön in der französischen und nicht weniger schön und selbstverständlich in der elsässischen Sprache schreibt, einer Variante des Deutschen, die auch nicht bekannt ist für die Schonung des Rachenraums. Ein Literatur- und damit auch Sprachwissenschaftler mit einer derartig ablehnenden Haltung gegenüber den Dialekten, wie Sebald es anscheinend war, ist sicher eine Rarität. Auch Uwe Schütte geht in seinem neuen Buch von der Sprache als erster, wenn nicht einziger Komponente des Heimatbegriffes aus. Die schützende Abgelegenheit des Ortes habe Sebald das Kind durchaus zu schätzen gewußt, die überwiegend liebevolle Schilderung des Ortes W. und seiner Bewohner, vornweg die Mathild Seelos, dann der Buchdrucker Specht, die Frau Unsinn mit ihrer Sanellapyramide, der Arzt und der Pfarrer auf ihren schweren Motorrädern &c. lassen nichts anderes erwarten. Der in der Ortschaft konkurrenzlose alemannische Dialekt war die einzige ihm zugängliche Sprache und als solche unangefochten und aller Kritik entzogen. Daß es für den angehenden Germanisten so nicht bleiben konnte ist klar, schwer verständlich aber die geringe Gelassenheit bei der Loslösung, auch wenn sie später vielleicht zum Teil nur literarisch inszeniert wurde.
Auch in Norddeutschland und zumal in Ostwestfalen ist manches Nachkriegskind in der Obhut des Großvaters aufgewachsen, eines in protestantischer Umgebung oft zwanglos gottlosen Großvaters und mithin als zwanglos gottloses Kind, sicher eine heimatliche, als solche aber eher unauffällige Prägung, nicht zu vergleichen mit den Leidenschaften, die Meßdienerschaft, Weihrauch und Katholizismus seit jeher umgeben. Von Schütte erfahren wir, Sebald sei als Kind ein guter und freudiger Katholik gewesen und habe eine Zeitlang Pfarrer als Berufswunsch angegeben. Der Grund für die frühe religiöse Geneigtheit ist ebensowenig bekannt wie der für die spätere mehr oder weniger abrupte Abkehr. Schüttes Ausführungen zum Großvater Josef Egelhofer legen aber nahe, bei ihm die Erklärung zu suchen, nicht unbedingt in Form der Vermutung, der Großvater habe sich in besonderer Weise in die religiöse Erziehung oder Entziehung des Enkels eingemischt. Vielmehr hat der Tod des Großvaters, so die Annahme, dem damals Zwölfjährigen alle möglichen Schleier von den Augen gerissen, darunter auch wohltätige, wenn nicht notwendige, vielleicht wäre er ohne diesen Tod zu dieser Stunde tatsächlich Pfarrer geworden - nicht auszudenken und zum Glück reine Spekulation. Über die vielen Heiligen in Sebalds Werk kann ein zwanglos Gottloser sich unbeschwert freuen, christliche Heilige und säkulare Heilige, sowie säkulare Heilige, die sich gern und mühelos in kanonisierte Heilige verwandeln, so wie der Major Le Strange einmal in den heiligen Franziskus und dann wieder in den heiligen Hieronymus.
Wer, in Bielefeld geboren, später erfahren hat, daß es die Stadt Bielefeld nicht gibt, ist den Schwierigkeiten im Umgang mit dem Heimatbegriff im Prinzip entkommen. Es bleibt die Frage, wo und wie er, zumindest rudimentär, die deutsche Sprache erlernt hat. In den Dörfern um Bielefeld, denen die Existenz nicht abgesprochen wird, Thesen, Stiegholz, Jöllenbeck, wie immer sie heißen, sprachen die alten Leute, wenn sie unter sich waren, damals Plattdeutsch, in der nächsten Generation hat sich diese Sprache dann verloren, und manchen mag es noch heute schmerzen, die Gelegenheit verpaßt zu haben, diese wirklich schöne Mundart sozusagen kostenlos und wie im Flug zu erlernen.
So ausgerüstet fällt es dem Ostwestfalen schwer, sich Sebalds Heimatbild zu nähern, selbst wenn er sich zunächst allein an die Figur des Erzähler hält, der dem Autor ähnlich, keineswegs aber mit ihm identisch ist. Im übrigen legen Autor und Erzähler, wie sie, sicher nicht ohne Augenzwinkern, zu erkennen geben, auf das Verständnis eines Norddeutschen keinerlei Wert: die Seelos Regina hat nach Norddeutschland geheiratet, mehr gibt es über sie nicht zu sagen, sie ist aus der Welt gefallen. Wenn der Erzähler auf Reisen Touristen begegnet, sind es nahezu ausnahmslos ehemalige Landsleute, Schwaben, Franken und Bayern, und fast noch mehr als die unsäglichen Dinge, die sie reden, sind ihm die auf das ungenierteste sich breitmachenden Dialekte zuwider. Der weit hinten im Hals wie eine Vogelsprache artikulierten Dialekt aus dem benachbarten Tirol wird gleich mit in die Verdamnis geschickt. Man vergleiche das etwa mit der Sprachverständnis Claude Vigées, der wunderschön in der französischen und nicht weniger schön und selbstverständlich in der elsässischen Sprache schreibt, einer Variante des Deutschen, die auch nicht bekannt ist für die Schonung des Rachenraums. Ein Literatur- und damit auch Sprachwissenschaftler mit einer derartig ablehnenden Haltung gegenüber den Dialekten, wie Sebald es anscheinend war, ist sicher eine Rarität. Auch Uwe Schütte geht in seinem neuen Buch von der Sprache als erster, wenn nicht einziger Komponente des Heimatbegriffes aus. Die schützende Abgelegenheit des Ortes habe Sebald das Kind durchaus zu schätzen gewußt, die überwiegend liebevolle Schilderung des Ortes W. und seiner Bewohner, vornweg die Mathild Seelos, dann der Buchdrucker Specht, die Frau Unsinn mit ihrer Sanellapyramide, der Arzt und der Pfarrer auf ihren schweren Motorrädern &c. lassen nichts anderes erwarten. Der in der Ortschaft konkurrenzlose alemannische Dialekt war die einzige ihm zugängliche Sprache und als solche unangefochten und aller Kritik entzogen. Daß es für den angehenden Germanisten so nicht bleiben konnte ist klar, schwer verständlich aber die geringe Gelassenheit bei der Loslösung, auch wenn sie später vielleicht zum Teil nur literarisch inszeniert wurde.
Auch in Norddeutschland und zumal in Ostwestfalen ist manches Nachkriegskind in der Obhut des Großvaters aufgewachsen, eines in protestantischer Umgebung oft zwanglos gottlosen Großvaters und mithin als zwanglos gottloses Kind, sicher eine heimatliche, als solche aber eher unauffällige Prägung, nicht zu vergleichen mit den Leidenschaften, die Meßdienerschaft, Weihrauch und Katholizismus seit jeher umgeben. Von Schütte erfahren wir, Sebald sei als Kind ein guter und freudiger Katholik gewesen und habe eine Zeitlang Pfarrer als Berufswunsch angegeben. Der Grund für die frühe religiöse Geneigtheit ist ebensowenig bekannt wie der für die spätere mehr oder weniger abrupte Abkehr. Schüttes Ausführungen zum Großvater Josef Egelhofer legen aber nahe, bei ihm die Erklärung zu suchen, nicht unbedingt in Form der Vermutung, der Großvater habe sich in besonderer Weise in die religiöse Erziehung oder Entziehung des Enkels eingemischt. Vielmehr hat der Tod des Großvaters, so die Annahme, dem damals Zwölfjährigen alle möglichen Schleier von den Augen gerissen, darunter auch wohltätige, wenn nicht notwendige, vielleicht wäre er ohne diesen Tod zu dieser Stunde tatsächlich Pfarrer geworden - nicht auszudenken und zum Glück reine Spekulation. Über die vielen Heiligen in Sebalds Werk kann ein zwanglos Gottloser sich unbeschwert freuen, christliche Heilige und säkulare Heilige, sowie säkulare Heilige, die sich gern und mühelos in kanonisierte Heilige verwandeln, so wie der Major Le Strange einmal in den heiligen Franziskus und dann wieder in den heiligen Hieronymus.
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