Dienstag, 17. September 2019

Bilderfolge

Indizien

Die optisch nachhaltigste Passage nicht nur in Austerlitz, sondern im Prosawerk insgesamt ist wohl die Photoreihe aus Terezín. Der Verwachsene und der Geistesgestörte, soweit ersichtlich die einigen Lebenden in der Stadt, sind verschwunden. Auf Seite 275 TB ist das Photo einer leeren Straßenflucht in den Text eingefügt. Auf Seite 276 ist zwischen einem Photo oben und einem Photo unten ein zweizeiliger Text eingefügt, der mitten im Satz versiegt und auf den Seiten 277 ff nicht fortgeführt wird. Auf Seite 280 wird der Text unversehens wieder aufgenommen und fortgeführt, über die untere Hälfte der Seiten 280 und 281 erstreckt sich ein Photo der ANTIKOS BAZAR. Auf der Seite 282 unten findet sich ein weiteres Photo des BAZAR, ebenso auf der Seite 284, ein Photo, auf dem auch das in dem Fenster gespiegelte Gesicht des Photographen zu erkennen ist, angeblich Austerlitz, tatsächlich aber der Dichter. Der weitere Verlauf des Aufenthalts in Terezín ist photographisch nicht dokumentiert. Bei etwas niedrigerer Seitenzahl ist in der gebundenen Ausgabe das Bildarrangement das gleiche.

Das Bild oben auf Seite 276 zeigt eine Reihe von Aschenkübeln entlang einer Hauswand, die als Indiz für eine immerhin denkbare Bewohnung des Hauses gedeutet werden, allerdings sind die Kübel geschlossen, so daß möglicher frischer, auf Leben hinweisender Inhalt nicht auszumachen ist. Die Bilder auf Seite 276 unten und Seite 277 zeigen verschlossene Fenster und Türen, Seite 278 eine nachdrücklich geschlossene und Seite 279 eine vernagelte Tür. Die Türen scheinen das schwache Indiz der Aschenkübel zu widerlegen.
Generell gilt: Je beunruhigender die erzählten Gegenstände sind, desto beruhigender ist der Fluß der Prosa. (Gilt das auch für den Autor selbst?) Diese Doppelstrategie kann in Orten wie Terezín/Theresienstadt nicht aufrecht erhalten werden, Beruhigung ist nicht angebracht, der Dichter läßt die Prosa ausklingen für eine Art Schweigeminute, richtiger gesagt: er läßt sie verenden. Auch der ANTIKOS BAZAR gibt keinen Hinweis auf gegenwärtige Belebtheit, vor nicht allzu langer Zeit wurde er aber offenbar noch bewirtschaftet. Menschliches Leben kehrt mit dem gespiegelten Konterfei des Photographen zurück und wird bestätigt durch die Dame unbestimmten Alters in einer lilafarbenen Bluse und einer altmodischen Frisur am Kassentisch des Ghettomuseums. Bereits von der Dame gibt es kein Bild, die Bildersprache des Leblosen, die den Text ergänzte und dann ersetzte, verschwindet wieder.

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