Wohnungsbau
Man kann davon ausgehen, daß Clara ein geschmackvolles und ihren Bedürfnissen entsprechendes Haus gekauft hat, unbekannt ist allerdings, ob sie die finanziellen Belastung durch den Kredit sorgfältig eingeschätzt hat. Kaufen oder erbauen Frauen anders als Männer,
vielleicht weniger bedacht auf Geld als
auf die Schönheit des Domizils? Das wäre der Beginn einer Vergeltung dafür, daß Architektur
und Bauwesen bis zur Neuzeit ausschließlich in männlicher Hand lagen. Aber auch
Männer haben zum Teil tiefgreifende Vorbehalte gegenüber der heutigen Architektur.
Neubauviertel fallen weniger durch Extravaganz auf als durch ihre Banalität, nach
dem Urteil des österreichischen Dichters liegen sie wie in die Gegend geschissen da. Pracht-
und Protzbauten der Politik und
Verwaltung schneiden in der Beurteilung nicht besser ab, Austerlitz ordnet den Justizpalast in
Brüssel architektonische Monstrosität ein. An und um den Palast sich bildende
Kleinanlagen haben vergleichsweise ein menschliches Gesicht, kleine Geschäfte,
etwa ein Tabakhandel, ein Wettbüro oder ein Getränkeausschank, einmal soll
sogar eine Herrentoilette im Souterrain von einem Menschen namens Achterbos,
der sich eines Tages mit einem Tischchen und einem Zahlteller in ihrem Vorraum
installierte, in eine öffentliche Bedürfnisanstalt mit Laufkundschaft von der
Straße und, in der Folge, durch Einstellung eines Assistenten, der das
Hantieren mit Kamm und Schere verstand, zeitweilig in einen Friseurladen
umgewandelt worden sein. Wie man in einzelnen dazu stehen mag, nur Gebäude
unter dem Normalmaß der domestischen Architektur, so Austerlitz, können menschengerechte
Züge aufweisen. Kaum einer der Pracht- und Protzbauten wurde von Frauen
entworfen. Noch weniger kommen Frauen auf die Idee, industrieanlagenähnliche Bauwerke,
Kraftwerke etwa, als Wohnbauten zu planen oder Industriebauten, Kalkwerke etwa,
als Wohnbauten zu nutzen, unter Männern dagegen ist dieser Ansatz relativ
verbreitet, gleichzeitig aber fehlt den Männern das nötige Durchhaltevermögen. Der
Schweizer macht sich davon, noch bevor das von ihm entworfene kraftwerkähnliche
Wohngebäude vollendet ist und treibt seine Lebensgefährtin, die Perserin, in
den Selbstmord, Konrad, der Eigentümer des Kalkwerks erschießt, als die Lage
aussichtslos geworden ist, die Konrad, seine Frau, im Kalkwerk. Tatsächlich aber
spielt die Architektur aber nur nachgeordnete Rolle, sie ist ein Teilbereich im
umfassenden Fortschritts- und Maschinenwahnsinn, dessen Verwüstungen die Frauen schneller noch
als die Männer zum Opfer fallen. Inzwischen, in unseren Tagen, sind auch die
Fortschrittsfanatiker zunehmend verunsichert und geraten, was ihre
herkömmlich frohgemuten Überzeugungen anbelangt, ins Wanken.
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