Es ist in der Stadt Venedig ein anderes Aufwachen, als man es sonst gewohnt ist, still bricht nämlich der Tag an, durchdrungen nur von einzelnen Rufen, vom Hinauflassen eines Rolladens, vom Flügelklatschen der Tauben, weit ab von der Brandung des Verkehrs. Stille ist die Voraussetzung für eine angemessene Begrüßung und Feier des neuen Tages, für seine Würdigung, jeglicher Lärm zerstört das dankbare Erwachen. Der neue Tag. Wie uns Hillerman immer wieder erklärt und zeigt, wird kein Diné mit traditioneller Lebensform je die Morgenandacht auslassen, wenn er in der Frühe das Tages, 'abinigo, aus seinem Hooghan tritt, er würde dann die Wege seines Lebens verlassen, wäre seiner geistigen Gestalt beraubt. Der grußlose Tag könnte nicht vorübergehen, ohne daß Unheil geschieht, der religiöse Auftrag verbindet sich mit dem Staunen über sie Schönheit der Welt. Auch europäische Menschen, in Polen etwa, erleben in der Tradition des frühmorgentlichen Stundengebet zutiefst das Wunder der wiederkehrenden Sonne, und zwar auch dann, wenn sie längst nicht mehr gottgläubig sind. Ohne die Morgenandacht hat die Zeit weder Maß noch Halt. Die Sonne geht unter, die Sonne geht auf, tatsächlich aber, so zeigt sich immer wieder, ist sie schon mehr als einmal unter und wieder aufgegangen, und niemand hat es bemerkt. Sind nun, so fragt man sich, drei Tage vergangen oder schon vier oder gar fünf? Niemand findet sich zurecht in der Welt ohne die gehörige Begrüßung eines jeden Tages, man schaut sonst auf nichts als einen ungepflegten und unappetitlichen Zeitbrei. Das aber gilt es zu vermeiden vor allem anderen.
Dienstag, 28. Juni 2022
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