Kraftwerksdomizil
Clara hatte eines Nachmittags kurzerhand ein Haus gekauft. Der Erzähler stellt in humoriger Weise den Initiativgeist seiner Frau
heraus. Häuser können aber nicht kurzerhand an der Supermarktkasse gekauft und bezahlt werden,
vielmehr muß unter anderem ein Notar herbeigezogen werden. Junge Paare verfügen zudem meistens
nicht über hinreichende Mittel, um ein Haus bar zu bezahlen, es muß bei
einem Geldhaus ein Kredit aufgenommen werden. Die Hauseigentümer schalten ihrerseits häufig einen Makler oder Realitätenvermittler ein, um möglichen Ärgernisse bei
der Bezahlung aus dem Wege zu gehen. So ist der Realitätenvermittler Moritz im
Augenblick ganz und gar mit dem Schweizer Kraftwerkbauer und dessen Lebensgefährtin, nach erster Vermutung eine Armenierin,
tatsächlich aber einer Perserin, beschäftigt. Der Schweizer, der auf eine
internationale Karriere als Kraftwerksbauer zurückblickt, plant für den
Lebensabend eine Wohnstätte im Stil eines Kraftwerks. Der Gebäudeplan war allen
Vorstellungen eines Wohnhauses entgegengesetzt, betont menschenabweisend war es alles
andere als eine Behausung für Ruheständler, vielmehr hatte der Bau
von außen so ausgesehen wie der Betonpanzer für eine Maschine, die weder Licht
noch Luft braucht. Das bislang als unverkäuflich geltende Wiesengrundstück hat
der Schweizer zu einem horrenden Preis gekauft. Der Realitätenvermittler Moritz
ist ein durchaus geschäftstüchtiger, gleichzeitig aber aufrechter Mensch, der
Kaufpreis war nur als Verhandlungssumme gedacht, der Schweizer will aber den vollen Preis zahlen und nicht
verhandeln, zudem geht er auch nicht auf die vom Moritz genannten erheblichen
Mängel des Wiesengrundstücks ein, in
einer seltsamen Raserei besteht er darauf, das Angebot in vollem Umfang und
ohne die geringsten Änderungen umzusetzen und das als Altersunterkunft geplante Kraftwerksdomizil
ohne jede Veränderung in den Wiesen als Altersgrundstück zu erbauen. Bald darauf aber verschwindet der Schweizer nach Venezuela, wo er, so heißt es,
den Bau des letzten von ihm entworfenen Kraftwerks überwachen will, tatsächlich
aber ohne jede Absicht zur Rückkehr. Das nicht vollendete und so gut wie
unbewohnbare Kraftwerksdomizil im Wiesengrund ist für die zurückbleibende Perserin das Todesurteil. Als
sie einige Tage später aus einer Bahnhofsgaststätte herauskam, wo sie ein Glas heißen
Tee getrunken hatte, ist sie im gleichen Augenblick unter einen
mit mehreren Tonnen Beton beladenen Lastwagen
geraten und fürchterlich zerstückelt worden. Wenige Tage zuvor noch hatte sie über
die ungebührliche Frage, ob sie sich eines Tages umbringen werde, nur gelacht
und Ja gesagt. Was Clara anbelangt, bleibt zu sagen, daß sie beim Hauskauf, sei es nun mit oder ohne Unterstützung eines
Maklers, in ihrer Eigenmächtigkeit fast schon an den Schweizer erinnert. Vergleichbar schaurige Szenarien als Resultat ihres Kaufs zeichnen sich aber nicht ab.
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