Freitag, 24. Juni 2022

Holzfällen

Rettet die Wälder

Holzfällen umfaßt dreihunderteinundzwanzig Buchseiten, man blättert Seite um Seite und findet nichts von Wald und vom Holzfällen, bis auf der Seite dreihundertzwei urplötzlich und anscheinend ohne irgendeine Verbindung zum Rest des Buches der Burgschauspieler seine Liebe zum Wald erklärt. In den Wald hineingehen, tief in den Wald, verkündet er und dann ruft er noch einige Male: Wald, Hochwald, Holzfällen. Auf den Bruch von Wald und Hochwald einerseits und Holzfällen andererseits geht er nicht ein, die Leser mögen grübeln, eine erleuchtende Erklärung finden sie nicht, umso weniger, wenn auch der Buchautor und Erzähler, anstatt Adalbert Stifter zu folgen, nicht Hochwald, sondern Holzfällen als Titel seines Buches wählt. Was den Burgschauspieler anbelangt, hatte er schon vor der Seite dreihunderteinundzwanzig viel Krauses und zum Teil extrem Widersprüchliches geredet, eigentlich verbreitet er nur angeberischen Unfug, die Wahrheit liegt tief im Verborgenen. Beim deutschen Voralpendichter ist nicht vollends klar, ob die Holzerbilder des Kunstmalers Hengge keine Zuneigung zu den Holzarbeitern aufkommen lassen, oder ob ihm umgekehrt die Holzfällerei die Bilder vergällt, wahrscheinlich summiert sich das eine zum anderen. Klarheit besteht aber darin, daß dem Dichter das Holzfällen ganz allgemein mißfällt. Denkt er doch daran, daß bereits der vormoderne Schiffbau erheblich Holzeinschläge erforderte, am eindrucksvollsten aber zeigt sich der fatale Umgang mit den Wäldern auf der Insel Korsika. Es war einmal eine Zeit, da war die Insel ganz vom Wald überzogen, Stockwerk um Stockwerk wuchs er Jahrtausende hindurch im Wettstreit mit sich selber bis in eine Höhe von fünfzig Meter und mehr. Der Degradationsprozeß der am höchsten entwickelten Pflanzenart begann bekanntlich im Umkreis der sogenannten Wiege der Zivilisation. Nur im Inneren Korsikas erhielten sich einzelne, die heutigen Wälder um vieles überragende Baumgesellschaften, die aber auch seither nahezu erloschen sind. Heute gibt es bloß noch geringe Relikte im Marmanotal und in der Foret de Puntiello. Die Zeit des hemmungslosen Rodens ist in den zivilisierten europäischen Ländern inzwischen vorbei, man bekennt sich zum nachhaltigen Forstwesen, die Holzfäller können ohne Schuldgefühle anrücken. Auffällig ist die enge Kameradschaft unter den Holzern, auch wenn sie sich erst während des Holzens kennengelernt haben. Jan Pradera und Peresada kann man schon nach wenigen Tagen als Freunde betrachten, Michał Kątny auf den ersten Blick als engen Freund, nicht vergessen werden darf die menschenfreundliche Unterkunft bei der fürsorglichen alten Wirtsfrau Babcia (Großmütterchen) Olenka. Vielleicht hat sich auch der Burgschauspieler mit seinem Rufen ausschließlich auf das zivilisierte Holzfällen der neueren Art bezogen, vielleicht aber auch hat er den Unterschied zwischen schonungslosen Roden und zivilisiertem Holzfällen gar nicht wahrgenommen. Angesichts der Kargheit seiner Äußerungen sind sie, wie bereits gesagt, nicht zuverlässig interpretierbar. Konrad wiederum, der Bewohner des Kalkwerks, soll immer wieder zu seiner Frau gesagt haben, in den Wald gehen, zu den Holzarbeitern, mit dem Höller in den Wald, ohne sich weiter Gedanken zu machen, sich retten vor den Gedanken. Gedankenlosigkeit ist Erholung, Entkommen, Rettung, am ehesten ist sie nach Konrads Verständnis unter den Waldarbeitern zu finden.

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