Kapitalismus et al.
Wer Ohren hat zu hören, der hört in den Ausführungen des jungen Literaturkritikers Sebald den forschen Ton Adornos. In der dichterischen Prosa ist dieser Klang dann verschwunden. Nur vereinzelt ist noch etwas wahrzunehmen, was als Kritik in der Nachfolge der kritischen Theorie gelten kann, etwa dann, wenn es um Touristen und Feriengäste geht. Es sind die weniger gelungenen Stellen, wenn die Belgier völlig ungerechtfertigt und jenseits aller Kritik als Volk von Krüppeln und Irren eingeordnet werden, ist das literarisch überzeugender. Allgemein gesprochen, hat die Kritik weithin der Klage Platz gemacht.
Wer Ohren hat zu hören, der hört in den Ausführungen des jungen Literaturkritikers Sebald den forschen Ton Adornos. In der dichterischen Prosa ist dieser Klang dann verschwunden. Nur vereinzelt ist noch etwas wahrzunehmen, was als Kritik in der Nachfolge der kritischen Theorie gelten kann, etwa dann, wenn es um Touristen und Feriengäste geht. Es sind die weniger gelungenen Stellen, wenn die Belgier völlig ungerechtfertigt und jenseits aller Kritik als Volk von Krüppeln und Irren eingeordnet werden, ist das literarisch überzeugender. Allgemein gesprochen, hat die Kritik weithin der Klage Platz gemacht.
Die übliche Kritik ist Machtkritik, sie kritisiert die Ausübung der Herrschaft von Menschen über Menschen, ihr bekanntesten Terrain ist die Kapitalismuskritik, der Mensch und nicht das Geld soll die Welt regieren. Kapitalismuskritik klingt in Sebalds Essaywerk verschiedentlich an, orientiert sich dabei weniger unmittelbar an Marx als etwa an der literarischen, latenten Kritik Gottfried Kellers. Adorno war zunächst ein relativ orthodoxer Marxist, der auf die Entfesselung der Produktivkräfte setzte zum Zwecke der Beherrschung der Natur und der Emanzipation des Menschen. Im Kreis der Künstlerschar der jungen Sowjetmacht kam unter anderen der Vorschlag auf, das gesamte Areal von Taiga und Tundra als unnütz und dem Menschen nicht tauglich einzubetonieren, sicher eine weniger praktische als symbolische Petition, deswegen aber nicht weniger grauenhaft, zeigte sie doch, mit welch Geistes Kindern man es zu tun hatte. Gnadenlose Herrschaft über die Natur zur Errichtung eines herrschaftsfreien Raums der Freiheit, das konnte nicht gutgehen und machte sich bei Adorno und anderen nach einigem Nachdenken als Dialektik der Aufklärung geltend. Auf deren dunkle Seite ist Sebald weiter vertreten.
Es ist nicht sichtbar, daß Sebald sich nach der sprachlich auffälligen Entfernung von Adorno eines anderen philosophisch-soziologischen Beistands versichert hätte. Wittgenstein fasziniert ihn als Gestalt, seine Philosophie hat er nicht vertieft studiert. Luhmann zitiert er einmal, ist aber nicht mit ihm vertraut geworden. Immerhin hätte er hier eine theoretische Untermauerung seiner Vorstellung finden können, wonach sich das Weltgeschehen über unsere Köpfe hinweg vollzieht: Alles könnte ganz anders sein (wenn denn die gesellschaftliche Evolution anders verlaufen wäre, nicht etwa, wenn die Revolution gelungen wäre), und kaum etwas ist zu ändern (alles ändert sich ständig durch unser Tun, aber nicht gemäß unseren Wünschen). Die alten Meister, Giotto, Tiepolo, konnten das sich nach Gottes Willen vollziehende Geschehen über unseren Köpfen noch beherzt ausmalen, wir müssen das evolutionierendes Geschehen sozusagen von unten her hinnehmen. In beiden Fällen aber, zur Zeit Gottes und jetzt ohne ihn, haben wir es mit einer Welt zu tun, die in jeder Einzelheit, nicht aber insgesamt zu kritisieren ist, geschweige denn, daß eine Generalbereinigung möglich und das Wahre nicht mehr im Falschen wäre.
Die Entfesselung der Produktivkräfte zeichnet Sebald am Beispiel der traurigen und menschenleeren Stadt Manchester nach. Wem auch sollte die eigenverantwortliche Lenkung der Menschheit, wenn sie denn möglich wäre, anvertraut werden. Die Philosophen kommen, anders als noch die Alten dachten, nicht in Betracht. Die Herren des Geldes stehen bereit, sind aber allgemein unbeliebt, auch bei Selysses, die Arbeiter aus den Goldminen der City, wie sie sich zur frühen Abendstunde an ihrem gewohnten Trinkplatz einfinden, alle einander ähnlich, in ihren nachtblauen Anzügen, gestreiften Hemdbrüsten und grellfarbenen Krawatten, mit den Gewohnheiten einer in keinem Bestiarium beschriebenen Tierart, dem engen Beieinanderstehen, dem halb geselliges, halb aggressives Gehabe, dem Freigeben der Gurgel beim Leeren der Gläser, dem immer aufgeregter werdende Stimmengewirr, dem plötzliche Davonstürzen des einen oder anderen. Die Politiker nach Hitler werden schon gar nicht mehr erwähnt, ab und zu ein kurzer sarkastischer Blick auf Brüssel, Volksabstimmungen führen zu unerwünschten Ergebnissen, und die Wissenschaften können für die erhoffte Klarheit nicht sorgen.