Samstag, 31. Oktober 2020

Selysses alphabetisch




Abendmahl
Abendstunde
Abschenkung
Abschreiben
A cau d'orella
Agoraphobie
ain't got no cigarettes
Aktentaschen
Alleen
Allem Lebendigen zugetan
Alkohol
Alpensakko 
Am Canal Grande
Am dunklen Rhein
Amen 
Amerika
Am Ziel
Anachoret heute
Anasazi 
Andante sostenuto
Andere Ufer
Andromeda Lodge
Ankleiden
Annäherungen
Ansichtskarten
An tOileánach
Anthropozän
Arabisches Kostüm
Arche Noah
Archetyp
Architekturmalerei
Arglose Leserinnen
Argumente
Ärztliche Kunst
Askese
Astronomen  
Auch Sebald war kein guter Mensch
Aufbruch
Auf dem Dachboden
Auf dem Revier
Auf den Gleisen, in der Luft
Auf der Stiege
Aufschub und Unterbrechung
Augenblicke der Seligkeit 
Augenleid
Augenpaare 
Augsburg
Außenbezirke
Ausgeglichene Bilanz
Avantgarde

Aus dem Schattenreich 
Gesammelte Werke

Bahnhofsmenschen
Bahnsteig
Baldachin
Bauten
Bedürfnislosigkeit und Luxus
Bei Feuertod
Belacqua 
Belgien
Bellezza
Belletristik
Berufliche Eignung 
Beste Welt 
Besucht Ernst Herbeck
Bethäuser
Beweglichkeit der Toten
Bewunderung
Bibelstunde
Bilderfolge 
Bilder wie Boote
Blaugrünes Blechtischchen
Blickkontakt
Blume Davids
Bodenschätze 
Böhmen
Bollwerke
Boote und Schiffe
Brackwassersee
Brautwerbung 
Bregenz
Brücken
Brüder
Brunnen der Höflichkeit
Buail i 
Buch der Alpen
Buch der Fluchten
Buch der Maler
Buch der Wandlungen
Bucklige und Irre 
Bülbül
Bull Inn
Bunte Federn 
Bunte Röcke
Bürger 

Café arabica
Cambria
Camelot in den Alpen
Catherine
Celeste
CERN
Château-Filhot
Cheal fags
Chefs & Dons
Cheopspyramide
Chorioretinopathie
Christliche Seefahrt
Chronos 
Coghad na Saoirse 
Colonel Chabert
Commander Dalgliesh
Comment sont faits les anges
Common Decency
Concierge
Córdoba  
Corsica
Couvent et Pissoir
Cré na cille

Daheim
Damenmode
Danksagung 
Dante kam bis Krummenbach
Dante nel fuoco
Dantesk
Darstellende Kunst
Darwin
Delfini 
Das neunzehnte Jahrhundert
Dekadenz
Dem Leben nahestehend 
Denken und Lenken
Denksport 
Der Bruchpilot
Der Ruhestand der Eremiten
Der Sebaldweg
Die angehaltene Zeit
Die ganze Wahrheit
Die Kaffeesiederin
Die Mesnerin von Sant'Anastasia 
Dienstpersonal
Die offene Wunde
Dieses fromme Weib
Die Toten
Die walisische Haushälterin 
Die Welt ist kein Genußartikel
Disdain
Distanz 
Doppelgänger, Schattenreiter
Doktor K.
Downsizing
Drei
Drei Ausflüge
Drei heißt vier
Drei kleine Feuerchen
Dreizehn
Dünner Faden
Dünnzöpfig 
Dunkelkammer
Dux
Dziura w niebie

École de vertige
Écriture cruciverbiste
Egomanie
Eine Episode 
Einfache Leute
Ein ganzer Tag
Ein ganzes Leben
Ein paar Gläschen
Einsam  

Ein und das andere
Éire
Eltern
Endlichkeit
Enge
Engel auf Erden
England
Entertainment
Erblasser 
Erdteile
Erinnerungskultur
Ermittler 
Essengehen
Erlöserkind 
Europa
Evisa
Evolution des Schönen
Ewiges Leben
Exnovation
Extremsport 
Eyes Wide Shut

Fahrtwind
Fake News
Falsche Welt
Far West
Farben des Mehls
Fascio und Sichel
Fenster zum Hof
Ferienvolk 
Ferrovia
Festivitäten
Feuersbrunst
Figura Christi
Figurationen
Fine della pittura
Finita la commedia
Fischersleute
Fleisch und Blut 
Flieger
Fließen, vergehen
Fließgewässer
Florence Barnes
Flucht
Flucht nach Ägypten
Förmlich im Flug
Forschen und Grübeln
Fragmente aus dem Orient
Frank Auerbach
Franken
Frau am See
Frau mit Handschuhen
Frau mit Hund
Freigefegt
Freitod im Ardennerwald 
Fremd
Freud und Leid
Frieda und die drei Schwestern
Freude
Freundschaft
Frühe, helle Feste
Frühe Werke
Futsch  

Gaélique
Gärten
Gartentor 
Gedankenverloren
Gefährder
Gelächter
Gelber Rock 
Geldschein für Leser
Gendergerechtigkeit
Genießer 
George Orlando Le Strange
George Wyndham Le Strange
Gerufen
Geschlossene Fenster
Gesegnet
Geschäftsmodelle
Gesichte
Gesichtsfeld
Gespräche
Gespräche mit Frauen
Geworfen 
Giardino Giusti
Gilde der Detektive
Gold oder Messing
Gottgläubig
Gottverlassenheit
Grabeskirche
Grenzübertritt
Griechische Sandler
Großstadtbilder 
Großvater
Grußkarte 
Gwalchmai

Hammer
Handwerk
Harry Morgan
Hausmannskost
Haute Cuisine
Heidegger 
Heilende Hand
Heilige Dialoge
Heilige Regina 
Heiliger Müßiggang
Heiligkeit
Heimat 
Heimkehr
Heimkehr im Bus
Hellgrüne Spuren
Hephaistos
Heraklit
Herz der Finsternis
Hethiter 
Hier und heute 
High Windows
Hildiswini
Himmelfahrt
Hinter der Stirn
Hinter unserem Rücken 
Historiographie
Hlasko
Höhenmeter
Höhenrausch 
Holland
Horizont
Hotel Boston 
Hudanwott
Humber Hawk
Hypatia 

Identitätsnachweise
Il Giocondo
Il Santone Saltante
Im Abseits
Im Fadenkreuz
Im Garten Eden
Im steinernen Haus
In der großen Stadt
Inkarnation
Innenwelt Außenhirn
Inselleben
In Schönheit
In Vino Deus
Irre Augen
Isule, cuntinenti
Italien

Jedes einzelne Blatt
Jerusalem
Jeunesse dorée
Judge Roy Bean 

Kafka
Kaput
Kartenspieler
Karte und Territorium 
Keine Literatur ohne Literatur
Kellner
Keltisches Feuer
Kinderszenen
Kindervilla 
Klangfarbe
Klausner
Kleine Sebaldstücke
Kleinkunst
Koinzidenz 
Komparsen
Korrekt
Kosmopoliten 
Kostümfragen
Kraftwerk 
Krauthäupter 
Kreaturen
Kriegshelden 
Kristallisation, Vitrifikation, Prosektur
Kritiklos
Krümmung des Ringfingers
Kudüs
Kulturvermittler
Künstlerkolonie
Kunst und Kultur 
Kuppelbauten
Kurzauftritte
Kurzum 

Lachen der Engel
Lacrimosa
Lady Early Morning 
Lament an Prosecution
Land und Wasser
Lärm
Las einst Stifter
L'aspetto di San Giorgio
Lautes Klopfen
L'autre
Leaschraobhcluiche 
Leaving Prague
Lebendige Philosophie
Lebensdaten
Lebenspraxis  
Lehrer
Le repos du voyageur
Lesegefährten
Lesen, Sebald lesen
Lichtverhältnisse
Liebesgeschichten
Liegenschaften 
Liest Borges
Liest Conrad
Liest Flaubert
Liest Grillparzer
Liest nicht Foster Wallace
Liest Rousseau
Liest Thomas Browne
London
Ludwig
Lüge
Lügen verschiedener Art
L‘ultimo giorno della gioventú 

Maiden
Mailand
Mallord Turner
Manchester
Man trifft sich
Marbach
Marienbad
Marschland 
Mathild
Meilensteine
Meinungsfreiheit
Meister der Taverne
Membran
Menschen getroffen 
Menschenrassen
Menschen, zu zweit, zu dritt
Messer am Hals
Metamorphosen
Mimesis
Mimetische Spiele
Misanthropie 
Mitreisende
Mobil
Moderne Zeiten 
Moräne
Mordlust 
Morgenland
Morituri
Moses im Schilf 
Moskau und Ajaccio
Motten
Moustache
Musik der Dichter
Mutationen 
Mütter
Mysterien
Mythisches Duo

Nach dem Tod
Nachsicht 
Nachtlager der Poesie
Nachtquartiere
Nahe den Engeln
Namensträger
Namentlich bekannt 
Nápoles
Nahuatl
Naayéé‘ neizghání 
Nation 
Neger
Nel mezzo del cammin 
Nicht hinterfür
Nicht volljährig
Niederschrift
Nithart
Norditaliener
Nowy Swiat
Nußschale

Odisseo
Offene Wunde
Oh les beaux jours
Olfaktorien
Oneroi
Oraison funèbres
Ordensfrauen
Organisationssoziologie
Ortsfest 

Paare
Palamedes
Panoramablicke
Panorama der Wissenschaften
Papieros
Paradieren
Parataxe 
Paris
Passanten
Patois
Penelope
Perbene
Peripherie
Peronuwka
Perroquet, chien, merveilles
Pfarrkirche St. Michael
Photographen
Phototermin
Photowelt 
Pitié-Salpêtrière
Pizza Cadavero   
Plagiat
Planung
Politeia
Portrait of the Artist
Prawo i sprawiedliwość
Preisschild Prime Speaker
Prinzessin
Prophet und Heiland
Proportionen
Prosa
Prozessionsspinner
Psittaciformes
Puzzle

Quartorze Juillet
Quelle der Weisheit
Quilter 

Rastignac
Ratschluß 
Rauch
Räume der Kindheit
Rechtspflege
Red Hunting Hat
Reich der Ruhe 
Reines Denken, reine Anschauung
Revolutionäre
Riva
Reue
Riding Done 
Ritorno in patria
Romanfigur
Rorate
Rothair
Rufe in der Nacht
Ruinen
Rund ums Sein 

Sa'Dwrn
Salettl
Sand Sebolt
San Giorgio
Sans trottoirs
Sauvages
Saxophon 
Schattenfiguren
Schattenmenschen
Schausteller 
Schemen, Gestalten
Schiedsgericht
Schiphol
Schlaflos  
Schlanke Gestalt
Schleierlegende
Schmetterlingsmann
Schöner Wohnen
Schneefall
Schöpfung 
Schopenhauers Pudel 
Schrecken der Kindheit
Schreibmaschinen
Schriftsätze
Schritte in der Sonne
Schwarz
Schwarz vor Augen 
Schweigsam
Schwermut
Schwierig, die Zeit
Schwindel.Gefühle
Schwindelgefühllesungen
Scuola di Atene 
Sebald
Sebald of the twenty-first century
Sebaldos
Sebalds Werke
W.G. Sebald: Schwindel.Gefühle.
Seelos
Se equivocaba
Sehfehler
Seidenvogel
Sein Los wägen 
Selysses
Selysses an Land
Selysses liest
Selysses schreibt
Selysses und Bekysseus
Selysses und der Elohist
Selysses und die Empfangsdamen I
Selysses und die Empfangsdamen II
Sequenz des Unheils
Seybolt
Siebenundneunzig Stufen
Sightseeing
Sinn Féin
Śmierć (lat. mors) 
Snámh dá Én
Sobretaula 
Spanien
Spatzen
Spiegel der Lyrik
Spiel der Farben
Spilt Saints 
Spinnen und Weben
Spitaleremit 
Sport und Spiel
Sprachfülle
Sprezzatura 
Staub
Staubfetzen und Kehrschaufel
Sted
Steinbrücke, Holzbrücke
Sterbezimmer
Stilles Feuer
Stills 
Stimmwechsel
Stumme Gefährten
Sünde
Südamerikanische Kunst 
Sumpfheilige 
Taufregister
Tausende von Irren
Taxidriver
Te kury
Telephon
Te prynhawn 
Terezín
Theatermütter
Themenwahl
Theorie des Rechts
Tiefbau
Tief zu Roß
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Tirant lo Blanch
Tired Eyes
Tir o saint 
Tote und Überlebende
Tous ceux qui tombent
To vlemma tou Selyssea
Tra donne
Trauerarbeit
Trautes Heim
Trendsetter
Treppen 
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Trunksucht
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Tulp
Tungkaschila
Türen
Tynged yr iaith

Überflüssig
Uhren
Uhrenzeit
Uisce Beatha
Una bella compagnia
Ungeheuer
Unrecht
Unsere Zukunft
Unter Corona
Unterwelten
Untröstlich
Untröstlich, melancolaidd
Untröstlich Trauernde
Unvereinbar 
Unverraten
Unwichtige Dinge
Unzulänglich
Urbanes Leben
Ursprung der Worte 

Vaquero
Venedig
Verborgenheit
Vergehende Zeit
Verboten
Verborgene Tiefen
Verdi 
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Verletzlich
Vernunft
Verona
Verschoben
Verständigung
Verständlich
Versteckte Namen
Verstehen
Vibrissen
Vier Konterfeis
Vita Brevis 
Vogelwelt
Vom Himmel gefallen
Vom Hängen
Vogelruf
Von weit oben 
Vorfahren
Vorfall im Holzschopf
Voyou
Vynwry

Wahre Liebe
Wahrheit der Geschichte
Wahrheitsbereitschaft
Wahrheitssuche 
Wal an Land 
Wanderlust
Warenparadiese
Warten
Was die Zukunft bringt
Was fehlt
Wassluy
Was wir wissen
Watten 
Webwaren im Wind
Wegfahrlosigkeit
Weg mit dem Geld
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Weiber
Weisen des Verschwindens
Weite Reisen
Weltarm
Weltarmut
Wenn 
Wenn es aufklart 
Wertach (W.)
Wiatraki
Wien
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Wissen 
Wochenbettmelancholie
Wohin auch immer
Wohnstuben 
Worte & Bilder
Wunderhund
Wüste
Wüstenmenschen
Wyndham Le Strange

Yak-ik-tee

Zahlungsmoral
Zeitalarm
Zeitungsleser 
Zeitvertreib
Zigarettenzeit
Zikaden
Zimmer 645
Zirkusmenschen
Zombie
Zufall und Planung 
Zum Ewigen Frieden
Zwei Franzosen
Zwiegestalt 
Zwischen Feofan Grek und Picasso
Zwitterstadt

Mittwoch, 28. Oktober 2020

Taxidriver

In weiblicher Gestalt


In den USA ist Adroddwr in einem Mietwagen unterwegs und erweist sich damit als Inhaber einer Fahrerlaubnis, beschränkte man sich allein auf die innereuropäischen Reisen, bliebe die Frage nach dem Führerschein unbeantwortet. Bei größeren Entfernungen bevorzugt er die Eisenbahn, kürzere Strecken erledigt er zu Fuß. Als er in seinem zweiundzwanzigsten Lebensjahr in Manchester eintrifft, hat er den Führerschein womöglich noch nicht, und naturgemäß wartet kein eigenes Fahrzeug auf ihn, ein Taxi ist verfügbar. Der Mann am Steuer ist schweigsam, und als er den Fahrgast in der frühen Morgenstunde vor der Pension AROSA absetzt, rät er nur: Just keep ringing. In Mailand verläßt Adroddwr den Bahnhof (looking more like an art museum than a railway station*) und wird sogleich Objekt eines Raubversuches, den er aber durch den schwungvollen Einsatz seiner Reisetasche abwehren kann. Als er dem Taxifahrer davon erzählt, antwortet der nur mit einer stummen Geste der Hilflosigkeit. Der Fahrer ist geschützt durch ein Gitter an seinem Seitenfenster und ein Medaillon Unserer Lieben Frau zwischen den Armaturen. Am Ende der Fahrt nimmt er stillschweigend das Geld entgegen. In den Wartepausen, abseits vom Lenkrad, können die Fahrer ein anderes Temperament entwickeln. Als der eher schmächtige Carabiniere, der seinen Wagen im Halteverbot unmittelbar vor dem Eingang abgestellt hatte, wieder zum Bahnhof herauskommt, umringen ihn die Taxifahrer und machen ihm Vorhaltungen über sein gesetzwidriges Verhalte, das ganze wohl als eine Art Komödie zur Vertreibung der Langeweile gedacht. So ist der Mensch, wenn die Arbeit stillsteht, ist ihm jedes Vergnügen recht.

Anders als Adroddwr haben Modianos Erzähler und Protagonisten keine gleichbleibende Nähe zum Autor, schon daran erkenntlich, daß sie, wie etwa in La Petite Bijou, den Autor auch in weiblicher Gestalt spiegeln können. Ganz überwiegend handelt es sich bei den Protagonisten um Jugendliche, die vermutlich keinen Führerschein und sicher kein eigenes Auto haben. Mit Vorliebe bewegen sie sich zu Fuß, j‘aurais voulu me promener dans les allées, größere Strecken werden mit der Metro, dem Bus oder auch, wenn das Geld gerade reicht, mit einem Taxi bewältigt. Das Taxi ist immer harmlos, das private Auto nicht. Autobesitzer waren zu der fraglichen Zeit noch deutlich in der Minderheit, und das Drohende, Verstörende, Beklemmende, das immer über Modianos Prosa liegt, wird durch ein Automobil nur noch verstärkt. Die Autobesitzer sind fast ausnahmslos zwielichte, wenn nicht offen kriminelle Gestalten. Ils sont tous du même monde, Menschen, die oft in leerstehenden, kaum möblierten Wohnungen campieren, keinen rechten Wohnsitz haben aber ein Auto. Als M. Valadier in sein voiture noir steigt, weiß la Petite Bijou endgültig, was sie von den Valadiers zu halten hat. In Dimanches d‘août wird die Einladung der Neal, mitzufahren in ihrem Auto dem jungen Paar zum Verhängnis, der junge Mann wird an der Tankstelle zurückgelassen, die junge Frau sieht man nicht wieder. Un cirque passe endet mit Gisèles Unfall in dem Auto, das ihr der Eigentümer überlassen hat. In beiden Fällen sind die jungen Frauen vermutlich tot, eine ausdrückliche Bestätigung gibt es nicht. Zehn Jahre später kommen dem Erzähler die Tränen, als Gisèles Name fällt.

Zehn Jahre später, zwanzig Jahre, zu Adroddwrs Zeit, hat das Auto bereits das Heft in der Hand, kaum noch jemand, sei er nun gut oder böse, der ohne es auskommt. Die Brandung des Verkehrs ist der neue Ozean. Unaufhörlich, in großen Schüben über die gesamte Breite der Städte kommen die Wellen daher, werden lauter und lauter und laufen als Brecher aus über den Asphalt und über die Steine. Aus dem Getöse entsteht jetzt das Leben, das nach uns kommt und das uns langsam zugrunde richten wird.

*Elmore Leonards Beurteilung des Mailänder Bauwerks

Samstag, 17. Oktober 2020

Hausmannskost

Pas de parents

Hausmannskost, dem Wörterbuch der Gebrüder Grimm zufolge die Nahrung, wie sie ein Hausvater gewöhnlich für sich und die Seinigen bereiten läßt, inzwischen ersetzt durch die in der Familie, von wem auch immer, bereitete und verzehrte Speise. Da wir Adroddwr, den Erzähler, nie zuhaus antreffen, erleben wir ihn auch nicht beim gemeinsamen Essen im Familienkreis. Nur selten überhaupt sehen wir ihn eine feste Mahlzeit einnehmen, und wenn, dann unter meist unguten Umständen in einem Restaurant, die Pizza in Verona, die Fischschnitte in Lowestoft. In beiden Fällen ist er nicht nur allein am Tisch, sondern überhaupt der einzige Kunde in der Gaststätte. Der Besuch des Wadi Halfa noch in sehr jungen Jahren in der Begleitung Aurachs ist die Ausnahme. In einer Bar an der Riva kommt er mit dem Venezianer Malachio, ins Gespräch, in der Bar des Crown Hotels in Southwold mit dem Holländer de Jong. Auf seinen einsamen Wegen sowohl in den Schwindel.Gefühlen als auch in den Ringen des Saturn befindet sich der Erzähler in einer Ausnahmesituation. In den RS ist er nur für eine kurze, in den SG nur für eine begrenzte Zeit dem sogenannten heimischen Herd entwichen, der besteht, seitdem Clara, wie wir in der Erzählung Selwyn erfahren, unversehens ein Haus gekauft hatte. 
 
Die gemeinsame Mahlzeit, Herzstück des familiären Zusammenhalts. Läßt man sich von Modianos Büchern leiten, gewinnt man den Eindruck, als gäbe es in den französischen Privathäuser und -wohnungen nur in Ausnahmefällen Kochherde. Man nimmt seine Mahlzeiten im Restaurant zu sich, im Café, Bistrot, in der Brasserie, man trifft sich, zu zweit, zu dritt, zu mehreren, wenn auch nicht unbedingt in fröhlicher Runde. Wem das Geld fehlt, sichert sich bis ins hohe Alter einen Studentenausweis, der zum Essen in der Mensa berechtigt. Kaum je fällt ein Wort über die Qualität des Essens. Waterzoi de poisson wird in einem Lokal angeboten. Die Bedienung stellt sich nicht ein, des Gast verläßt das Etablissement. Nicht nur das Essen zuhaus, feste Wohnstätten scheinen überhaupt in Frankreich eine seltene Gattung zu sein. Oft hat man nur vorübergehend eine Zimmer irgendwo, nicht selten in einem Hotel. Alles ist darauf abgestellt, keinen festen Fuß zu fassen, ein provisorisches Leben, ce perpétuel sentiment d‘incertidude. Im Condé, dem Café de la jeunesse perdu, sitzen im Sommer und im Winter, bei Tag und bei Nacht immer die gleichen Gäste, so als sei es ihr Domizil. In Manchester ist es um Adroddwr, dem noch jungen Erzähler, zunächst nicht so sehr anders bestellt. Auch er führt ein Leben in der Schwebe. Unterkunft findet er in der Pension Arosa. Auf die gastronomische Dichte von Paris kann er allerdings nicht zurückgreifen, Manchester ist vielmehr menschenleer und bewirtungsfrei. Am Leben festhalten läßt in allein der in seinem Zimmer aufgestellte Teeapparat, durch sein Leuchten in der Nacht und sein leichtes Sprudeln am Morgen. Manchester ist nicht Paris, aber Paris kann sich für Augenblicke in eine Art Manchester verwandeln: Nous étions, cette nuit là, dans une ville désert. Nous avions aucun ancrage dans la vie. Nous étions seuls au monde. Aucun ancrage dans la vie, das entspricht aufs Wort Adroddwrs unbegreiflichem Gefühl der Unverbundenheit, das es sehr leicht macht, sich aus dem Leben zu entfernen. Kein Teeapparat, aber: J'étais contente de voir cette lumière verte. Je ne sais  pas pourquoi, elle me rassurait et j'ai fini par m'endormir.

Clara kauft unversehens ein Haus, damit trennen sich die Wege. Modiano kehrt in seinen Romanen immer wieder zurück in die Zeit der schwebenden Unverbundenheit. Adroddwr, den Erzähler, sehen wir zwar nie in Claras Haus geschweige denn beim Verzehr der Hausmannkost, vielmehr stets nur auf Reisen. Immer aber ist Claras Haus als ausgelagertes Zentrum vorhanden, so wie Penelopes Haus für Odysseus. Unerwartet und doch zuverlässig kehrt Odysseus, bei all dem, was ihn unterwegs erwartet, zurück in sein Haus auf Ithaka.