Sonntag, 25. März 2018

Hephaistos

Verlassene Dinge

Die Türschelle schepperte und gleich darauf standen wir in dem kleinen Uhrenladen des Uhrmachers Ebentheuer, in dem eine Unzahl von Standuhren, Regulatoren, Wohnzimmer- und Küchenuhren, Weckern, Taschen- und Armbanduhren durcheinandertickten, gerade so als könne ein Uhrwerk allein nicht genug Zeit zerstören. Währen der Großvater sich mit dem Ebentheuer, der wie immer die Lupe ins linke Auge geklemmt hatte, über das unterhielt, was seiner Sackuhr gefehlt hatte, schaute sein Enkel über den Ladentisch hinweg in das dunkle Wohnzimmer hinein. Alles weist darauf hin, daß die Uhren ein eigenständiges Leben führen, daß sie ohne weiteres auch ohne den Ebentheuer zurechtkommen, von den Kunden ganz zu schweigen. Erst die Mittagsstunde aber, die Pausenzeit, ist die Stunde der verlassenen Dinge. Der Rasiersessel des Baders Köpf stand leer. Das Rasiermesser lag, aufgeklappt, auf der marmorierten Platte des Waschtischs. Wie es da auf dem Tisch liegt, war das Messer womöglich noch grauenhafter als in der Hand des Köpf, wenn der dem Jungen nach dem Haareschneiden mit diesem an dem Lederriemen frisch abgezogenen Messer den Hals ausrasierte.

Die Dinge sind beharrlicher als die Menschen. Lange ist Austerlitz vor den Schaufensterscheiben des Antikos Bazar gestanden in der vergeblichen Hoffnung, daß vielleicht jemand kommen und dieses seltsame Magazin aufschließen würde. Die Ausstellungsstücke blieben sich selbst überlassen. Welches Geheimnis bargen die drei verschieden großen Messingmörser, die etwas von einem Orakelspruch hatten, die kristallenen Schalen, das blecherne Reklameschild, das die Aufschrift Theresienstädter Wasser trug, der kugelförmige Briefbeschwerer und die hundert anderen Dinge. Verlassene Dinge, aber nicht von der Art des Rasiermessers auf dem Waschtisch. Im Antikos Bazar sind fehlgelaufene, ausrangierte Produkte gesammelt, das Rasiermesser ist ein Arbeitsgerät, ein Produktionsmittel, das teilnimmt am Ruhebedürfnis seines Eigentümers, bevor beide die Arbeit gemeinschaftlich wieder aufnehmen.

Aus der Schmiede roch es nach verbranntem Horn. Das Essenfeuer war ganz in sich zusammengesunken, und das Werkzeug, die schweren Hämmer, Zangen und Raspeln lagen und lehnten herrenlos überall herum. Nirgends rührte sich etwas. Das Wasser im Bottich, in den der Schmied sonst jeden Augenblick mit dem glühenden Eisen, daß es zischte, hineinfuhr, war so still und glänzte von dem schwachen Widerschein, der vom offenen Tor auf seine Oberfläche fiel, so tiefschwarzdunkel, als hätte noch nie jemand es angerührt und als sei ihm bestimmt, in solcher Unversehrtheit bewahrt zu bleiben. Wenn auch die Zeit in den ungezählten Uhren ohne seine Mithilfe abläuft, ist Ebentheuer doch anwesend, Köpf ist auch während seiner kurzen Abwesenheit dem Erzähler in intensiver Weise gegenwärtig, der Schmied ist weder anwesend noch scheint irgendwer auch nur seinen Namen zu kennen. Wenn es ihn gibt, heißt er womöglich Goff, ein im Allgäu allerdings seltener Name, aber gibt es ihn überhaupt noch, wird er das fast erloschene Feuer wieder anfachen, das Eisen wieder zum Glühen bringen, oder ist er gegangen, weil seine Zeit vorüber ist? Einst war die Schmiedekunst das den dunklen Göttern am nächsten stehende Handwerk, Hephaistos selbst hatte göttlicher Status, Vulkane dienten ihm als Schmiedefeuer, auf den Schild des Achilles hatte er die Welt geschmiedet. Jetzt verschwindet das Handgreifliche aus der Welt, eine neue Zeit hat begonnen.