Schwermut im Glas
Auf dem Weg von Oberjoch nach W. kehrt der Dichter beim Hirschwirt ein und genehmigt sich, neben einer Brotsuppe, einen halben Liter Tiroler, eine nicht geringe Dosis für die Mittagszeit. Später konnte er diesen Lebensstil wegen einer Alkoholallergie nicht aufrecht erhalten. Mit den Schattenseiten des Trinkens wurde er schon in der Kindheit vertraut, wenn der Vater ihn losschickte, ein Päckchen Zuban aus der Gaststätte zu holen, auf deren geöltem Bretterboden Bierlachen standen, und an deren Tischen die Bauern bis tief in die Nacht hinein und sich, zumal in der Winterzeit, oft bis zur Bewußtlosigkeit betranken. Vor diesem Hintergrund ist nur zu begrüßen, wenn sich die seinerzeit übel beleumundete Kaschemme nun als eine Stätte sogenannter gepflegter Gastlichkeit darbot. Regina Zobel mit ihrer zurückgezogenen Art der Trinkens verschreckte den Jungen verständlicherweise weniger. Nachdem die Zobel die Führung des Wirtshauses vor etlichen Jahren aufgegeben hatte, hielt sie sich den ganzen Tag in ihrer halbverdunkelten Stube auf. Entweder sie saß in ihrem Ohrensessel, das Weinglas in der Hand, oder sie ging mitsamt dem Glas hin du her, oder sie lag auf dem Kanapee. Niemand wußte, ob der Rotwein sie schwermütig gemacht oder ob sie aus Schwermut zum Rotwein gegriffen hat. Wenn der Dichter bei seinem Besuch in W. die trinkenden Bauern entbehren mußte, so waren in Innsbruck die Tiroler Sandler gleichsam an ihre Stelle getreten. Sie bildeten eine bewegte Gruppe um einen Kasten Gösser-Bier, der wundersamerweise, gewissermaßen aus dem Nichts hervorgezaubert, auf einmal in ihrer Mitte stand. Verbunden untereinander durch die weit über die Landesgrenzen hinaus für ihren Extremismus bekannte Tiroler Trunksucht, verbreiteten sich diese teils kaum erst aus dem bürgerlichen Leben ausgeschiedenen, teils ganz und gar zerrütteten Tiroler Sandler, die durch die Bank einen Zug ins Philosophische, ja sogar ins Theologische.
Auf dem Weg von Oberjoch nach W. kehrt der Dichter beim Hirschwirt ein und genehmigt sich, neben einer Brotsuppe, einen halben Liter Tiroler, eine nicht geringe Dosis für die Mittagszeit. Später konnte er diesen Lebensstil wegen einer Alkoholallergie nicht aufrecht erhalten. Mit den Schattenseiten des Trinkens wurde er schon in der Kindheit vertraut, wenn der Vater ihn losschickte, ein Päckchen Zuban aus der Gaststätte zu holen, auf deren geöltem Bretterboden Bierlachen standen, und an deren Tischen die Bauern bis tief in die Nacht hinein und sich, zumal in der Winterzeit, oft bis zur Bewußtlosigkeit betranken. Vor diesem Hintergrund ist nur zu begrüßen, wenn sich die seinerzeit übel beleumundete Kaschemme nun als eine Stätte sogenannter gepflegter Gastlichkeit darbot. Regina Zobel mit ihrer zurückgezogenen Art der Trinkens verschreckte den Jungen verständlicherweise weniger. Nachdem die Zobel die Führung des Wirtshauses vor etlichen Jahren aufgegeben hatte, hielt sie sich den ganzen Tag in ihrer halbverdunkelten Stube auf. Entweder sie saß in ihrem Ohrensessel, das Weinglas in der Hand, oder sie ging mitsamt dem Glas hin du her, oder sie lag auf dem Kanapee. Niemand wußte, ob der Rotwein sie schwermütig gemacht oder ob sie aus Schwermut zum Rotwein gegriffen hat. Wenn der Dichter bei seinem Besuch in W. die trinkenden Bauern entbehren mußte, so waren in Innsbruck die Tiroler Sandler gleichsam an ihre Stelle getreten. Sie bildeten eine bewegte Gruppe um einen Kasten Gösser-Bier, der wundersamerweise, gewissermaßen aus dem Nichts hervorgezaubert, auf einmal in ihrer Mitte stand. Verbunden untereinander durch die weit über die Landesgrenzen hinaus für ihren Extremismus bekannte Tiroler Trunksucht, verbreiteten sich diese teils kaum erst aus dem bürgerlichen Leben ausgeschiedenen, teils ganz und gar zerrütteten Tiroler Sandler, die durch die Bank einen Zug ins Philosophische, ja sogar ins Theologische.
Zum philosophischen Nachdenken verleitet auch die von Luisa Lanzberg erzählte Geschichte von Regina Zufrass und dem Jofferle. Die Regina war eine entsetzlich tüchtige Frau und ständig, selbst am Sonntag, auf das strengste beschäftigt. Ihr Mann, das Jofferle, Fuhrknecht von Beruf, fürchtete sich, so heißt es, vor dem Heimkehren zu ihr. Wie aus Literatur und Leben bekannt, ist das keine seltene Verteilung insbesondere bei kinderlosen älteren Ehepaaren oder nach dem Auszug der Kinder. Alkohol kann die Situation erheblich verschlimmern, nicht selten fand man Jofferle betrunken neben der umgekippten Heufuhre liegen. Der Alkohol steht auch dem angestrebten Ziel der Geschlechtergleichheit entgegen, zwölf Sandler waren es im Innsbrucker Bahnhof aber nur eine Sandlerin. Stachura sieht im Alkohol einen guten Gesprächspartner, aber wohl nur für Männer, das Gelächter der betrunkenen Frau am Nachbartisch war schrecklich für ihn, mein Gott, das war schrecklich, man kann lachen, man muß sogar lachen, je mehr desto besser, aber ihr Lachen war eine Beleidigung, znieważał wielki bolesny dostojny smutek świata, war ohne Achtung für die große würdevolle Melancholie der Welt; wie angenehm demgegenüber die lautlose Regina Zobel mit dem Glas in der Hand.
Immer wenn die Regina Zufrass das volltrunkene Jofferle heimgeholt hatte, blieben anderntags die grünen Läden der Wohnung geschlossen. Da man nichts erfährt oder weiß von dem, was sich hinter den grünen Läden tut, sind der Phantasie einerseits keine Grenzen gesetzt, andererseits aber ist das Feld der Möglichkeiten eng und schmal. Die Regina wird von ihrer entsetzlichen Tüchtigkeit nicht Abschied nehmen können, das Jofferle denkt wohl schon bald wieder an Flucht, auch an die Flucht in den Alkohol. Falls irgendwann eine Besserung eintreten sollte, liegt sie im Bereich jenseits des Erzählten.