Freitag, 26. August 2022

Brucia continuamente

Last Generation

 

Der Mensch besteht in erster Linie aus Wasser und in zweiter Linie aus Kohlenstoff, wen kann es wundern, daß es die Menschen zum Meer zieht und daß passend schnelle Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren sie dorthin verfrachten. Die Stichhaltigkeit dieser Überlegung ist fraglich, den Dichter jedenfalls zieht es nicht an den Badestrand, und die Eisenbahn, die ihn nach Venedig bringt, hat keinen Heizer, der für den pausenlosen Ausstoß schwarzer Rauchwolken sorgt, wie man sie aus Westernfilmen kennt. Diese Qualmlokomotiven waren freilich noch rare Erscheinungen, die Idee einer zu schonenden Umwelt konnten sie nicht erwecken. Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren im engeren Sinn gab es zunächst noch nicht. Das  hat sich inzwischen grundsätzlich geändert. Man horcht mit wachem Entsetzen auf die Brandung des Verkehrs, der schon stundenlang über uns hinweggegangen war. Das also ist der neue Ozean. Unaufhörlich, in großen Schüben kommen die Wellen daher, werden lauter und lauter, überschlagen sich in einer Art von Phrenesie auf der Höhe des Lärmpegels. Aus diesem Getöse entsteht jetzt das Leben, das nach uns kommt und uns langsam zugrunde richten wird. Ist es eine neue Welt oder das Ende der Welt? Bislang ist nur der Lärm erfaßt, nicht das Gift, nicht die allumfassende Verbrennung, und was soll man davon halten, daß - erkenntlich am herausragenden Beispiel des Inceneritone Comunale auf der der Giudecca westwärts vorgelargerten namenlosen Insel - gerade die Krematorien ohne Unterlaß brennen, bruciano continuamente. Die Krematorien sind nur das eindrückliche Signal, nichts in der Welt der Menschen geht noch ohne Verbrennung, die Welt verbrennt, junge Leute haben sich schon als die letzte Generation ausgerufen.

Sonntag, 14. August 2022

Stimme des Herrn

Głos Pana

Sein Ehrenamt als Meßdiener hatte der Dichter schon früh niedergelegt, Gründe und Ablauf des Austritts aus der Kirchengemeinde sind im einzelnen nicht bekannt. Eine Spur führt zu seinem Vorbild, dem Lehrer Bereyter, dem die, mit seinen Worten, katholische Salbaderei seit jeher zutiefst zuwider war, legendär der Schabernack, den Bereyter zum Schaden des Katecheten im Umgang mit dem Weihwasser betrieb. Im Vordergrund steht aber wohl der entschiedene Zweifel des Dichters an der Vorrangstelle des Menschen, fortwährend betont er das gleiche uneingeschränkte Lebensrecht für jegliche Kreatur. Für diese Einsicht sind besonders die Abrahamitische Religionen in keiner Weise aufgeschlossen, der Mensch, Gottes Ebenbild, wie es heißt, ragt ungeniert empor über alles, die umgebende Welt beschränkt sich auf Nahrungsvorsorge und erbaulichen Dekor allein für die Menschen. Bei indigenen Völkern sucht man eine vergleichbare Hybris vergeblich, Mąʼii, der Coyote, ist gewiefter als der Mensch. Wenn es von Bereyter trotz allem heißt, er sei gottgläubig, ist wohl kein Wechsel vom Katholizismus zum Protestantismus anzunehmen, daß er nach der Abkehr vom Papst Luthers Weg gefolgt wäre, dafür gibt es keinen Hinweis. Beim Dichter seinerseits finden sich wiederholt Andeutungen, die man dem sogenannten Aberglauben zuordnen möchte. Tatsächlich geht es in beiden Fällen, bei Bereyter sowohl wie beim Dichter, nur darum, daß nach dem Abschied vom Christenglauben nicht etwa Klarheit eintreten würde, das Ergebnis war Befreiung und Verlorenheit zugleich. Man muß sich eingestehen, daß ohne eine verbindliche transzendente Position die Welt unbekannter und unverständlicher ist als je zuvor, es fehlt die Antwort auf die alte Frage, warum Etwas ist und nicht vielmehr Nichts und warum das, was ist, so ist wie es ist und nicht anders. In Lems Roman Głos Pana vermutet die Wissenschaft dem Titel entsprechend möglicherweise auf andere Weise die Stimme des Herrn wahrzunehmen. Innerhalb des allumfassenden laut- und gestaltlosen Neutrinolärms, so der Ausgangspunkt des Romans, bildet sich unversehens ein Sprachmustern ähnliches Modell ab. Wenn es der HERR sein sollte, der sich hier äußert, dann ist es der HERR des Alls und nicht der Stadthalter einer abgelegenen Filiale namens Planet Erde. Wenn der Herr reden sollte, dann mit wem und über was? Wahrscheinlich aber haben wir es dann doch nicht mit der Stimme des Herrn zu tun, sondern mit Froschquaken (żabi skrzek), wie es heißt. Niemand hat bisher die Stimme des Herrn nachweislich gehört und hätte sie wohl auch nicht verstehen können, da der sogenannte Homo sapiens in seinem jetzigen Zustand, so Lems Überlegung, die für das Verständnis des wahren Herrn der Welt erforderliche evolutionäre Stufe noch nicht erreicht hat.