Versuch über den Schmutz
Glaubt man Thomas Bernhard aufs Wort, was naturgemäß einigen Mut erfordert, so hat er keine Stadt so geliebt wie Warschau. Im zweiten Kapitel seines Buches über das Hängen (Wieszanie) geht J.M. Rymkiewicz auf die immensen Hygieneprobleme der großen Städte im achtzehnten Jahrhundert ein. Zwar habe es Warschau, schon aufgrund seiner vergleichsweise überschaubaren Bevölkerung, weniger hart getroffen als London oder Paris, aber auch hier habe es überall ganz furchtbar gestunken. Den gegenwärtig lebenden Europäern sind derartige Erfahrungen so sehr erspart geblieben, daß zwischenzeitlich die Sauberkeit in Verruf geraten konnte, nicht wenige haben Christian Enzensbergers Versuch über den Schmutz begrüßt. Auch der Dichter hat eine wohl in dieser Zeit entwickelte Reinheitsphobie. Wenn sich in Deauville immer wieder die Fensterläden auftun, sei es im Parterre, sei es in der Beletage oder im oberen Stock, und eine Hand erscheint, die mit auffallend langsamer Bewegung ein Staubtuch ausschüttelt, so will er das fast als Zeichen des Bösen verstanden wissen. Der Staub hat es ihm regelrecht angetan, denkt man an das Fäkalienproblem vergangener Zeiten freilich ein vergleichsweise friedlicher Unrat.
Wenn das Staubtuch mit einem Bann belegt ist, so sind Besen und Rechen ins Außerweltliche entrückt. Ein Mensch, der zu einer abgewetzten Eisenbahneruniform einen schneeweißen Turban trug, fegte mit einem Besen einmal hier, einmal da etwas von dem auf dem Pflaster herumliegenden Unrat zusammen. Bei diesem Geschäft, das in seiner Zwecklosigkeit an die ewigen Strafen gemahnte, die wir, wie es heißt, nach unserem Leben erdulden müssen, bediente sich der in tiefer Selbstvergessenheit immer dieselben Bewegungen vollführende Mann statt einer richtigen Kehrschaufel eines an einer Seite aufgerissenen Pappdeckelkartons, den er mit dem Fuß Stück für Stück vor sich herschob, bis er eine niedrige Tür in dem vor der Innenfassade des Bahnhofs erreicht hatte, durch die er, ruckweise wie es schien, verschwand. - Wie alle Textabschnitte des Dichters kann man auch diesen in schlichter Weise realistisch lesen, sieht sich aber unmißverständlich auch zu einer phantastisch-surrealen Lesart eingeladen. Die Reinigungsleistung des Mannes mit dem Besen, dem Pappschachtel und dem weißen Turban ist gering. Er ist ein Verwandter von Kafkas Türhüter, er wacht nicht darüber, daß die für Austerlitz bestimmte Tür verschlossen bleibt, er öffnet sie ihm, indem er vorausgeht, man wird ihn nach Erfüllung dieser seiner einzigen Aufgabe nicht wiedersehen. Die Tür führt Austerlitz aus der Londoner Gegenwart in die Prager Vergangenheit, die er bis zum Ende des Buches nicht wieder verlassen wird.
Ich hörte die Luft aus- und einstreichen durch das Astwerk und das feine Geräusch, das der Gärtner machte beim Rechen der Kieswege zwischen den niedrigen Buchsbaumhecken, deren sanfter Geruch selbst jetzt noch im Herbst die Luft erfüllte. Schon die Staubtücher in die Deauville schienen wie von abgetrennten Armen bewegt, und man konnte nur vermuten, daß in den dusteren Interieurs zu ewig unsichtbarem Dasein und ewigem Abstauben verurteilte Frauenspersonen lautlos herumgehen und darauf lauern, daß sie einem zufällig vor ihrem Gefängnis stehenbleibenden und an der Fassade heraufblickenden fremden Passanten mit ihren Staubfetzen ein Zeichen geben können: wie kann man, wenn es so um die staubwischenden Frauenspersonen bestellt ist, von der Alltäglichkeit des Gärtners im Giardino Giusti ausgehen? Wenn Selysses den Garten verläßt, wird das Geräusch des Rechens verstummen, der menschenleere Garten wird sich bis zu allen Horizonten ausdehnen. Der Unterschied von Schmutz und Reinheit ist mit dem Menschen in die Welt gekommen und wird mit ihm wieder verschwinden aus ihr.
Glaubt man Thomas Bernhard aufs Wort, was naturgemäß einigen Mut erfordert, so hat er keine Stadt so geliebt wie Warschau. Im zweiten Kapitel seines Buches über das Hängen (Wieszanie) geht J.M. Rymkiewicz auf die immensen Hygieneprobleme der großen Städte im achtzehnten Jahrhundert ein. Zwar habe es Warschau, schon aufgrund seiner vergleichsweise überschaubaren Bevölkerung, weniger hart getroffen als London oder Paris, aber auch hier habe es überall ganz furchtbar gestunken. Den gegenwärtig lebenden Europäern sind derartige Erfahrungen so sehr erspart geblieben, daß zwischenzeitlich die Sauberkeit in Verruf geraten konnte, nicht wenige haben Christian Enzensbergers Versuch über den Schmutz begrüßt. Auch der Dichter hat eine wohl in dieser Zeit entwickelte Reinheitsphobie. Wenn sich in Deauville immer wieder die Fensterläden auftun, sei es im Parterre, sei es in der Beletage oder im oberen Stock, und eine Hand erscheint, die mit auffallend langsamer Bewegung ein Staubtuch ausschüttelt, so will er das fast als Zeichen des Bösen verstanden wissen. Der Staub hat es ihm regelrecht angetan, denkt man an das Fäkalienproblem vergangener Zeiten freilich ein vergleichsweise friedlicher Unrat.
Wenn das Staubtuch mit einem Bann belegt ist, so sind Besen und Rechen ins Außerweltliche entrückt. Ein Mensch, der zu einer abgewetzten Eisenbahneruniform einen schneeweißen Turban trug, fegte mit einem Besen einmal hier, einmal da etwas von dem auf dem Pflaster herumliegenden Unrat zusammen. Bei diesem Geschäft, das in seiner Zwecklosigkeit an die ewigen Strafen gemahnte, die wir, wie es heißt, nach unserem Leben erdulden müssen, bediente sich der in tiefer Selbstvergessenheit immer dieselben Bewegungen vollführende Mann statt einer richtigen Kehrschaufel eines an einer Seite aufgerissenen Pappdeckelkartons, den er mit dem Fuß Stück für Stück vor sich herschob, bis er eine niedrige Tür in dem vor der Innenfassade des Bahnhofs erreicht hatte, durch die er, ruckweise wie es schien, verschwand. - Wie alle Textabschnitte des Dichters kann man auch diesen in schlichter Weise realistisch lesen, sieht sich aber unmißverständlich auch zu einer phantastisch-surrealen Lesart eingeladen. Die Reinigungsleistung des Mannes mit dem Besen, dem Pappschachtel und dem weißen Turban ist gering. Er ist ein Verwandter von Kafkas Türhüter, er wacht nicht darüber, daß die für Austerlitz bestimmte Tür verschlossen bleibt, er öffnet sie ihm, indem er vorausgeht, man wird ihn nach Erfüllung dieser seiner einzigen Aufgabe nicht wiedersehen. Die Tür führt Austerlitz aus der Londoner Gegenwart in die Prager Vergangenheit, die er bis zum Ende des Buches nicht wieder verlassen wird.
Ich hörte die Luft aus- und einstreichen durch das Astwerk und das feine Geräusch, das der Gärtner machte beim Rechen der Kieswege zwischen den niedrigen Buchsbaumhecken, deren sanfter Geruch selbst jetzt noch im Herbst die Luft erfüllte. Schon die Staubtücher in die Deauville schienen wie von abgetrennten Armen bewegt, und man konnte nur vermuten, daß in den dusteren Interieurs zu ewig unsichtbarem Dasein und ewigem Abstauben verurteilte Frauenspersonen lautlos herumgehen und darauf lauern, daß sie einem zufällig vor ihrem Gefängnis stehenbleibenden und an der Fassade heraufblickenden fremden Passanten mit ihren Staubfetzen ein Zeichen geben können: wie kann man, wenn es so um die staubwischenden Frauenspersonen bestellt ist, von der Alltäglichkeit des Gärtners im Giardino Giusti ausgehen? Wenn Selysses den Garten verläßt, wird das Geräusch des Rechens verstummen, der menschenleere Garten wird sich bis zu allen Horizonten ausdehnen. Der Unterschied von Schmutz und Reinheit ist mit dem Menschen in die Welt gekommen und wird mit ihm wieder verschwinden aus ihr.
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