Mittwoch, 1. Juni 2016

Hłasko

Ausgewandert

Hłasko war in Deutschland vor allem bekannt als zeitweiliger Ehemann Sonja Ziemanns, von der inzwischen die Mehrheit auch nichts mehr weiß. Bekannt war er ferner wegen seiner skandalträchtigne Lebensweise, geprägt von Alkohol- und Tablettenmißbrauch, von Gewalttätigkeit, Aufenthalten in Gefängnissen und Ausnüchterungszellen, in Kranken- und Irrenhäusern. Die Frauen, so liest man, habe er flachgelegt wie der Schnitter das Korn. Eine vereinzelte und späte gesundheitsbewußte Maßnahme ist zwiespältig geblieben: An die Mutter schreibt er, nach dem Aufgeben des Rauchens sei er fett geworden jak świnia, wie ein Schwein. Tatsächlich ist auf Photographien aus dem letzten Lebensjahr das schöne, zuletzt eher hagere slawische Gesicht jäh und bestürzend in das einer brutalisierten Miss Piggy verwandelt. Bekannt war Hłasko schließlich für seine von einem tiefen Pessimismus gekennzeichnete Literatur. Die Welt war in diesen Jahren in zwei Hälften geteilt in die sogenannte freie und die sogenannte sozialistische. Nach Hłaskos Urteil konnte man in der einen Hälfte nicht leben, in der anderen konnte man es nicht aushalten, w jednej z nich jest nie do życia, w drugiej nie do wytrzymania. Vielleicht war mit der einen Welt aber auch die Schnee- und Kältewüste der Karpaten aus Następny do raju (Der nächste ins Paradies) gemeint und mit der anderen die Staub- und Hitzewüste der Israelerzählungen. Zusammenfassend müssen wir wohl lesen: Das Leben ist nicht auszuhalten.

Hłaskos Lebensverlauf ist nachzulesen in der umfänglichen und sorgfältigen Biographie Piękny dwudziestoletni (Der schöne Zwanzigjährige), verfaßt von seinem Vetter Andrzej Czyżewski. Der Titel nimmt unmittelbar Bezug auf Hłaskos Autofiktionalisierung Piękni dwudziestoletni (Die schönen Zwanzigjährigen). Herrlich darin etwa die knappe und zugleich mit Bernhardschen Übertreibungen versehene Schilderung, wie er aus allen Schulen, kaum daß er sie betreten hatte, auch schon wieder herausgeflogen war, als hoffnungsloser Idiot entweder oder als unverbesserlicher Störenfried. Zu mehr als dem Abschluß der Volksschule hat es nicht gereicht, anders wäre es ihm vielleicht ergangen, wenn er Bereyters Klasse hätte besuchen können. Auch so aber hat er schon bald nach Schulende, noch in Polen, den ersten Literaturpreis erhalten.

Leicht kann man bei geschlossenen Augen Hłasko unter Sebalds Ausgewanderten sehen. Stellen wir ihn zwischen Dr. Selwyn, Cosmo Solomon und den Dichter selbst. Der Dichter war ein Ausgewanderter aus Versehen. Als er 1966 in Manchester aus dem Flugzeug stieg, hätte er sich nicht träumen lassen, nie wieder einen Wohnsitz außerhalb von England zu haben. Die gleiche Situation bei Hłasko, nur drastischer. 1958 wollte er sich einige Monate lang im Westen umsehen, man hat ihn nicht zurückgelassen nach Polen, er mußte dort bleiben, wo es nicht auszuhalten war, im Grunde war er also zum Tode verurteilt, zu einem zehnjähriges Sterben. Ob der Tod 1969 durch Herzversagen auf der Grundlage einer unguten Mischung von Barbituraten und Alkohol mit Absicht herbeigeführt wurde, hat sich nicht klären lassen. Mit Selwyn teilt er die gleiche Wanderrichtung, Litauen, Selwyns Heimat, das ist für die Polen Polen: Litwo, ojczyzno moja! Wenn er auch nicht ungeheure Mengen Geld auf dem Niveau des Cosmo Solomon durchbringen konnte, war er doch immer redlich und erfolgreich bemüht, die Ausgaben deutlich oberhalb der nicht geringen Einnahmen des in ein Dutzend Sprachen übersetzten Kultautors zu halten.

Dergestalt eingefügt in das Gruppenbild der Ausgewanderten, im Spiel von Ähnlichkeit und Unterschied, gewinnt Hłaskos Schatten Kontur. Sein Bild bliebe dem in Czyżewskis Biographie ähnlich, aber es würde leichter, flüchtiger, transparenter, schwebender, er wäre schließlich erlöst, wie die anderen Ausgewanderten auch.

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