Dienstag, 13. September 2016

Geschäftsmodelle

Wandel


Wohl auf Betreiben des Baptist, der seine ledigen Schwestern versorgt sehen wollte, hatten die Babett und die Bina das Café Alpenrose aufgemacht, in das aber nie jemand hineingegangen ist; Touristen gab es zu der Zeit so gut wie keine und für die Einheimischen ging von den Schwestern, von denen die eine mit den Händen ihren Kleiderschurz glattstreichend fortwährend im Haus und im Garten herumgelaufen ist, während die andere den ganzen Tag in der Küche gesessen und Geschirrtücher zusammenfaltet hat, kein Anreiz aus. Heute würde man von einem nicht tragfähigen Geschäftsmodell sprechen. Vermutlich hatte der Baptist Seelos, der ein erfolgreicher Baumeister gewesen war, den Schwestern obendrein noch hinreichend Kapital hinterlassen, um davon ihr Leben zu fristen. Als weitaus geschäftstüchtiger zeigte sich die Frau Unsinn, die das Konsumgeschäft am Ort führte. In der Auslage hatte sie eines Tages eine Pyramide aus goldenen Sanellawürfeln errichtet, eine Art Vorweihnachtswunder als Anzeichen der auch in W. anhebenden neuen Zeit. Die Sanellapyramide ragte hinein in die Zukunft und im Geiste baute man sie höher und höher, so hoch, daß sie schon bis in den Himmel hinauf reichte. Von dem Supermarkt oder dem Discounter, der wohl bald schon in der nächstgrößeren Ortschaft eröffnen und auch ihr Geschäftsmodell gefährden würde, ahnte Frau Unsinn da noch nichts. Die Grundlage der Ökonomie in ländlichen Gegenden war ohnehin nicht die Gastronomie oder der Einzelhandel, sondern Land- und Forstwirtschaft. Die Bauern und Holzknechte sehen wir allerdings nicht bei der Arbeit, sondern in einem übel beleumundeten Wirtshaus, wo sie bis tief in die Nacht hinein hockten und tranken, oft bis zur Besinnungslosigkeit. In einem späten Gespräch versichert der Dichter, dank der Agrarpolitik der EU seien die Bauern mittlerweile schweinereich geworden, eine Wortwahl, die Zufriedenheit mit diesem Zustand nicht zum Ausdruck bringt. Dabei hatte die Entwicklung fraglos zur Verfeinerung der Sitten beigetragen und unter anderem das Wirtshaus gezwungen, sein Geschäftsmodell umzustellen und sich aus einer Spelunke in eine sogenannte Stätte gepflegter Gastlichkeit zu verwandeln. Aber auch das verbucht der Dichter seltsamerweise nicht auf der Habenseite. Noch weniger beeindruckt es ihn, daß die Bauern- und Waldarbeiterschaft schon früh zu einer Brutstätte der Kunst geworden war. Der Maler Hengge war in den 30er Jahren auf dem Höhepunkt seines Ruhmes gestanden und bis nach München hinaus bekannt gewesen. Überall in W. und in der weiteren Umgebung konnte man an den Hauswänden seine stets in braunen Farben gehaltenen Wandmalereien sehen, die von seinen Hauptmotiven, zu denen neben den Holzknechten die Wilderer und die aufständischen Bauern mit der Bundschuhfahne gehörten, nur dann abgewichen, wenn ihm ein besonderer Gegenstand ausdrücklich vorgegeben war. Der Maler Hengge war sehr wohl imstand, sein Repertoire auszuweiten. Doch wenn er ganz nach seinem eigenen Kunstsinn sich richten konnte, hat er nichts als Holzerbilder gemalt. Auch die alten Meister, so möchte man diesen spöttischen Anmerkungen entgegenhalten, hatten in der Regel aus der Auftragsarbeit heraus zu ihrem überragenden Kunstsinn gefunden. Das Schreibwarengeschäft des alten Specht, der nicht mehr unter den Lebenden ist, wird heute noch von der Frau des Lukas Seelos weitergeführt. Von den anderen Kleingewerbetreibenden und Dienstleistern, dem Uhrmacher, dem Bader, dem Schmied, dem Bäcker haben wir keine Nachrichten für die Neuzeit. Die akademischen und beamteten Dienstleister, Ärzte, Lehrer, Pfarrer, werden sicher geeignete Nachfolger gefunden haben.

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