Eine Brücke, ein Steg
Sergio Chejfec schreibt: Sebald bringt uns zurück zu einer eigentlich seit langem verlorenen Position, die der Bewunderung und der reinen ästhetischen Freude. Sebald selbst hatte seine wissenschaftliche Laufbahn nicht unter dem Zeichen der Bewunderung begonnen, beeindruckt von der damals an den philosophischen Fakultäten grassierenden sogenannten Kritischen Theorie hatte er stattdessen für seine ersten Untersuchungen geignete Opfer möglichst beißender Kritik gewählt. Als er dann schon den Fuß gehoben hatte für den Schritt vom Literaturwissenschaftler zu Literaten, wurde mit Logis in einem Landhaus ein Buch veröffentlicht, das auch den Titel Bewunderungsübungen tragen könnte.
Exercises d’admiration, unter diesem Titel sind bei Cioran die Porträts von rund einem Dutzend Autoren versammelt, unter denen Sebald, der zum Zeitpunkt der Veröffentlichung als Literat noch gar nicht geboren war, naturgemäß nicht vertreten ist. Hätte er gepaßt in die Sammlung, hätte Cioran ihn bewundert? Einerseits begegnen wir Autoren wie Scott Fitzgerald, an die man, so wie Ciorans Vorlieben einzuschätzen sind, nicht gleich gedacht hätte, andererseits Autoren wie de Maistre und Beckett, die nicht fehlen konnten. Am Beispiel des blutrünstigen Joseph de Maistre führt Cioran vor, wie man einen Autor bewundern kann, der nach allen geltenden Maßstäben, und nicht weniger nach Ciorans Maßstäben, nur zurückzuweisen ist, in der Gestalt Becketts bewundert er einen Freund im Leben und im Geist. Unwissentlich baut Cioran eine Brücke von Beckett zu Sebald, Je ne suis pas spécialement requis par la philosophie de Wittgenstein mais j’ai und passion pour l’homme. Sebald hat sich nicht nur sinngleich, sondern fast wortgleich zu dem österreichischen Philosophen geäußert. Cioran fährt fort, Plus d’une fois j’ai trouvé des traits communs entre lui et Beckett. Deux apparitions mystérieuses, deux phémomènes dont on est content qu’ils soient si déroutants, si inscrutables. Ausgehend von dem Rucksack gleicher Sorte, mit denen beide unzertrennlich verbunden waren, macht sich Sebalds Erzähler seinerseits Gedanken über die auffallende Ähnlichkeit zwischen Austerlitz und Ludwig Wittgenstein, über den entsetzten Ausdruck, den sie beide trugen in ihrem Gesicht. So nahe, wie Austerlitz ihm steht, geht die Ähnlichkeit auch auf den Autor selbst über. Was aber wäre über den sie mittelbar verbindenden Wittgenstein hinaus das Verbindende zwischen Beckett und Sebald? Auch große Unterschiede können sich als Gleichheiten erweisen.
Beide sind Feinwerktechniker der Sprache, Beckett in einer kargen und immer karger werdenden Landschaft, Sebald in der Üppigkeit der Sätze. Beide sind Meister der Bewegung, bei Sebald sind es großräumige, zum Teil interkontinentale Bewegungen, bei Beckett werden die Bewegungen immer geringfügiger, tendieren zu Stillstand und hören doch nie ganz auf. Selbst die Menschen im Kegel des Dépeupleur, un corps par mètre carré soit un total de deux cents corps chiffre rond, sind, abgesehen von einer kleinen Minderheit endgültig Resignierter, so rast- wie hoffnungslos unterwegs. In Sebalds Prosawerk nimmt die Bewegung gleich zu Beginn, in Wien, becketthafte Züge an. Die ebenso endlosen wie leeren Gängen führten über ein eher enges Areal nicht hinaus, einen genau umrissenen, sichel- bis halbmondförmigen Bereich, dessen äußerste Spitzen in der Venediger Au hinter dem Praterstern beziehungsweise bei den großen Spitälern des Alsergrunds lagen. Hätte man die Wege, nachgezeichnet, es wäre der Eindruck entstanden, es habe jemand hier auf einer vorgegebenen Fläche immer neue Traversen und Winkelzüge versucht, um aufs neue stets am Rand seiner Vernunft, Vorstellungs- und Willenskraft anzugelangen und zum Umkehren gezwungen zu werden. – Ein nicht vorhandenes und doch unüberwindliches Hindernis, die genaue geometrische Vermessung des gefängnishaften Bezirks, wäre es dem Erzähler nicht schließlich doch gelungen, aus dem Zirkel auszubrechen, hätte Sebalds Prosa zwangsläufig die von Beckett vorgegebene Richtung genommen.
Sergio Chejfec schreibt: Sebald bringt uns zurück zu einer eigentlich seit langem verlorenen Position, die der Bewunderung und der reinen ästhetischen Freude. Sebald selbst hatte seine wissenschaftliche Laufbahn nicht unter dem Zeichen der Bewunderung begonnen, beeindruckt von der damals an den philosophischen Fakultäten grassierenden sogenannten Kritischen Theorie hatte er stattdessen für seine ersten Untersuchungen geignete Opfer möglichst beißender Kritik gewählt. Als er dann schon den Fuß gehoben hatte für den Schritt vom Literaturwissenschaftler zu Literaten, wurde mit Logis in einem Landhaus ein Buch veröffentlicht, das auch den Titel Bewunderungsübungen tragen könnte.
Exercises d’admiration, unter diesem Titel sind bei Cioran die Porträts von rund einem Dutzend Autoren versammelt, unter denen Sebald, der zum Zeitpunkt der Veröffentlichung als Literat noch gar nicht geboren war, naturgemäß nicht vertreten ist. Hätte er gepaßt in die Sammlung, hätte Cioran ihn bewundert? Einerseits begegnen wir Autoren wie Scott Fitzgerald, an die man, so wie Ciorans Vorlieben einzuschätzen sind, nicht gleich gedacht hätte, andererseits Autoren wie de Maistre und Beckett, die nicht fehlen konnten. Am Beispiel des blutrünstigen Joseph de Maistre führt Cioran vor, wie man einen Autor bewundern kann, der nach allen geltenden Maßstäben, und nicht weniger nach Ciorans Maßstäben, nur zurückzuweisen ist, in der Gestalt Becketts bewundert er einen Freund im Leben und im Geist. Unwissentlich baut Cioran eine Brücke von Beckett zu Sebald, Je ne suis pas spécialement requis par la philosophie de Wittgenstein mais j’ai und passion pour l’homme. Sebald hat sich nicht nur sinngleich, sondern fast wortgleich zu dem österreichischen Philosophen geäußert. Cioran fährt fort, Plus d’une fois j’ai trouvé des traits communs entre lui et Beckett. Deux apparitions mystérieuses, deux phémomènes dont on est content qu’ils soient si déroutants, si inscrutables. Ausgehend von dem Rucksack gleicher Sorte, mit denen beide unzertrennlich verbunden waren, macht sich Sebalds Erzähler seinerseits Gedanken über die auffallende Ähnlichkeit zwischen Austerlitz und Ludwig Wittgenstein, über den entsetzten Ausdruck, den sie beide trugen in ihrem Gesicht. So nahe, wie Austerlitz ihm steht, geht die Ähnlichkeit auch auf den Autor selbst über. Was aber wäre über den sie mittelbar verbindenden Wittgenstein hinaus das Verbindende zwischen Beckett und Sebald? Auch große Unterschiede können sich als Gleichheiten erweisen.
Beide sind Feinwerktechniker der Sprache, Beckett in einer kargen und immer karger werdenden Landschaft, Sebald in der Üppigkeit der Sätze. Beide sind Meister der Bewegung, bei Sebald sind es großräumige, zum Teil interkontinentale Bewegungen, bei Beckett werden die Bewegungen immer geringfügiger, tendieren zu Stillstand und hören doch nie ganz auf. Selbst die Menschen im Kegel des Dépeupleur, un corps par mètre carré soit un total de deux cents corps chiffre rond, sind, abgesehen von einer kleinen Minderheit endgültig Resignierter, so rast- wie hoffnungslos unterwegs. In Sebalds Prosawerk nimmt die Bewegung gleich zu Beginn, in Wien, becketthafte Züge an. Die ebenso endlosen wie leeren Gängen führten über ein eher enges Areal nicht hinaus, einen genau umrissenen, sichel- bis halbmondförmigen Bereich, dessen äußerste Spitzen in der Venediger Au hinter dem Praterstern beziehungsweise bei den großen Spitälern des Alsergrunds lagen. Hätte man die Wege, nachgezeichnet, es wäre der Eindruck entstanden, es habe jemand hier auf einer vorgegebenen Fläche immer neue Traversen und Winkelzüge versucht, um aufs neue stets am Rand seiner Vernunft, Vorstellungs- und Willenskraft anzugelangen und zum Umkehren gezwungen zu werden. – Ein nicht vorhandenes und doch unüberwindliches Hindernis, die genaue geometrische Vermessung des gefängnishaften Bezirks, wäre es dem Erzähler nicht schließlich doch gelungen, aus dem Zirkel auszubrechen, hätte Sebalds Prosa zwangsläufig die von Beckett vorgegebene Richtung genommen.