Freitag, 16. August 2019

Tierwelt

Inklusion

J.P. Hebel gehört nicht zu den Philosophen, die die Welt verändern wollen, er findet eine schöne Ordnung im Bestehenden. Alles ist wohlaustariert, wo Undank vorkommt, ist auch Dank, Geiz und Verschwendung pendeln gegeneinander. Hebel schlägt das Buch der Natur weit auf, und auch seltsame Geschöpfe wie die fliegenden Fische und die Prozessionsspinner, Bombyx Processionis, finden den eigens für sie vorgesehenen Platz. Wer aber kann das Erstaunen und Entsetzen des Erzählers beschreiben, als er, eine Prozession der Raupen beobachtend, von einer Laune bewegt, eine der Raupen aus dem Zug nahm, woraufhin diese wie tot liegenblieb, außerstande zurückzukehren an ihre kaum eine Spanne entfernten Platz. Und nicht nur die aus der Bahn genommene Raupe, der ganze Zug rührte sich nicht mehr. Auch die Rückversetzung der Raupe an ihren alten Platz konnte die Störung nicht beheben, die vielmehr als ein kollektives Todesurteil wahrgenommen wurde. Es war ihm, als hätte er Hebels Weltordnung zum Einsturz gebracht.

Während der Prozessionsspinnerplage in diesem Jahr wäre mancher froh gewesen, hätte er von dieser einfachen, wenig aufwendigen und umweltschonenden Weise der Schädlingsbekämpfung gewußt, die einfachen Dinge aber werden übersehen. Überhaupt und obwohl das Naturstudium um die Beschreibung eines vollkommen gesetzmäßigen Systems bemüht ist, geht es der heutigen Zeit vor allem darum, Kreaturen herauszustellen, die sich vor allem auszeichnen durch ihre abstruse Gestalt oder durch ihr aberwitziges Verhalten – herauszustellen und nicht, wie Hebel, einzubinden. Schon in Brehms Thierleben kamen die Ehrenplätze dem Krokodil und dem Ameisenbär, dem Armadillo, dem Seepferdchen und dem Pelikan zu. Auf dem Bildschirm sieht man heute ein Heer von Pinguinen, das die ganze Winterfinsternis hindurch unbeweglich in den Eisstürmen der Antarktis steht, und in für besonders lehrreich geltenden Programmen wie Nature Watch oder Survival sieht man eher irgendein Monstrum bei seinem Paarungsgeschäft auf dem Grunde des Baikalsees als eine gewöhnliche Amsel. Eine Spektakelgesellschaft urteilt Agamben und der Dichter wird ihm zustimmen, aber war es nicht schon immer so? Auch bereits Thomas Browne hatte zeitweise seine Forschungen zur isomorphen Linie der Quincunx-Signatur eingestellt, um sich allerlei teils wirklichen, teils imaginären Wesen wie dem Chamäleon, dem Vogel Strauß, dem Greif und dem Phoenix zu widmen. Er widerlegt die Existenz der Fabelwesen, die verwunderlichen Ausgeburten aber, von denen man weiß, daß es sie tatsächlich gibt, lassen es als möglich erscheinen, daß auch die erfundenen Bestien nicht völlig aus der Luft gegriffen sind.

Thomas Browne mit dem Greif und dem Phoenix, das ist die fernere Vergangenheit, als die Erkenntnis der unendlichen, über jede Vernunftgrenze sich hinwegsetzenden Mutationen der Natur aufkam. Nature Watch mit dem Ungeheuer auf dem Grund des Baikalsees, das ist die Gegenwart, zu der es weiter nichts zu sagen gibt. Hebel mit dem eingefriedeten Prozessionsspinner, das war der Dreh- und Angelpunkt, als alles hätte noch ganz anders kommen können, als es dann tatsächlich kam.

Keine Kommentare: