Mittwoch, 27. April 2022

Kill the Money

Potlatsch


You could tell by his eyes that he was plastert to he hairline, but othewise he looked like any other nice young man in a dinner jacket who had been spending too much money in a joint that exists fort that purpose and for no other. Die Art, in der der Satz makellos herunterstürzt erlaubt keinen Widerspruch und Widerspruch wäre auch in keiner Weise angebracht. Der Wortverlauf läßt erkennen, daß es sich bei dem jungen Mann, plastert to he hairline, keineswegs um einen Einzelfall handelt, und auch das Geschäftsmodell ist offenbar verbreitet, wo Geld verpulvert wird, läßt sich Geld machen. Cosmo Solomon hat sich viel an Plätzen wie Saratoga Springs und Palm Beach aufgehalten, weil er in Luxushotels wie dem Breakers, dem Poinciana oder dem American Adelphi ungeheure Mengen Geld durchbringen konnte, kein Geld, das er selbst verdient hätte, das Geld seines Vaters. Der alte Solomon hatte sich derartigen Exzessen nicht hingegeben, verzichtete zwar nicht auf eine üppige Haushaltung, irgendwann aber hat er sich von allen mondänen Réunions und aufwendigen  Festlichkeiten verabschiedet, nicht aus Geiz oder Geldnot, sondern einfach aus Unlust. Andere haben ihr Geld nicht durchgebracht, sondern verschenkt, nicht unbedingt an die Armen, Wittgenstein hat es seinen Geschwistern überlassen, die ohnehin schon mehr davon hatten als er. Vermutlich konnte er nichts Gutes am Geld entdecken. Geldverschwendung, muß man wissen, ist nicht auf Geld angewiesen. Die banknotenfreien nordamerikanische Ureinwohner kannten den sogenannten Potlatsch, das Fest des Schenkens, wie es heißt. Es war nicht immer klar, ob es bei dem Fest eher um Hilfe für die weniger Betuchten ging oder um das Ansehen des Schenkenden. Teilweise nahm das Potlatsch selbstzerstörerisches Ausmaß an, auch Pleiten sind ohne Valuta möglich. Das Geld ist ein zwiespältiger Geselle, geldfreie Gesellschaften waren von der Devisenwirtschaft der Europäer überfordert. Inzwischen ist geldfreies Wirtschaften nur noch in wenigen abgelegenen Enklaven möglich. Absurd sei es aber, so Luhmann, im Umgang mit dem Geld Materialismus zu erkennen und zu verwerfen, Geld sei schließlich das abstrakteste und insofern am wenigsten materielle Medium, das der Mensch je ersonnen habe und zugleich das am besten funktionierende Kommunikationsmedium überhaupt. Selbstverständlich aber ist Geld zwiespältig wie nahezu alle vom Menschen erdachten Werkzeuge, Geld kann erbauend sein, ist aber immer auch zerstörend.  

Dienstag, 19. April 2022

Akrobatik

Änderungen

Du mußt dein Leben ändern: Sloterdijk hat Rilkes Gedichtausklang zum Buchtitel gemacht. Man kann unterstellen, Giorgio Santini, ursprünglich San Giorgio, habe ich seinem mehr als tausendjährigen Dasein sein Leben oft genug geändert, übergreifend vom Drachentöter zum Artisten, was dazwischen liegt, ist leider nicht dokumentiert. Wir treffen Santini im deutschen Konsulat zu Mailand, wissen aber nicht, was sein Anliegen ist. Will er sich in Deutschland nach erweiterten Berufsmöglichkeiten umsehen? Artisten im herkömmlichen Sinn haben nicht mehr die Resonanz wie vor hundert Jahren. Kafka vermerkt ausdrücklich, in den letzten Jahrzenten sei das Interesse an Hungerkünstlern stark zurückgegangen, die Sparte der Hungerkunst, des Hungerkünstlers ist inzwischen längst erschöpft, als Hungerkünstler kann man buchstäblich sein Brot nicht mehr verdienen, man müßte denn ergänzend als gewichtsbewußter Skispringer Aufmerksamkeit erregen und Erfolge aufweisen. Das würde Santini, den Hochseilartisten, nicht weiter betreffen, aber, wiederum Kafka mit vorausschauendem Blick, der wahre Weg gehe bald schon über ein Seil, das nicht in der Höhe gespannt ist, sondern knapp über dem Boden, es scheine mehr bestimmt stolpern zu machen, als begangen zu werden. Aus der Zukunft ist längst Gegenwart geworden, man mußte sich neu einrichten. Die  einschlägige und maßgebliche Neuausrichtung ist die Wiederbelebung  der Olympischen Spiele durch Pierre de Courbertin, die nach seiner Vorstellung  mit einer Wiedererweckung der altgriechischen Kultur einhand gehen sollte. Dieser zweite Teil wurde von den sogleich epidemisch sich einstellenden Sportfunktionären ohne jegliches Aufheben abgewunken. Was blieb ist die in die Breite sich entwickelnde Artistik, mit Sloterdijks Worten die Somatisierung - ist Somatisierung identisch  mit Entgeistigung? - des Unwahrscheinlichen, des nicht für möglich Gehaltenen. Angesichts des von Kafka prognostizierten bodennahen Flachspiels konnte die bald einsetzende Dominanz des Fußballs nicht überraschen. Der Name unseres Exheiligen verschiebt sich vom italienischen San Giorgio zum polnischen Jerzy Świętowski, in Erscheinung und fußballerischem Können ähnelt er jetzt Lewandowski. Nach gewonnenem Spiel und wieder auf freiem Fuß trägt Świętowski, come rain come shine, wie schon in allen seinen früheren Inkarnationen, den wunderbaren, formvollendeten weitkrempigen Strohhut.
 

Samstag, 16. April 2022

Ufernähe

Verlockung des Wassers

Gewässer, Bäche, Flüsse, Meere, sind uns so fremd wie vertraut. Für das Fremde wappnen wir uns mit einem einen vertrauten, maritimen oder nicht maritimen Begleiter, unterschiedlich je nach Art des Gewässers. Am Meeresufer läßt man sich gern von einem Schiff in der Ferne begleiten. Der Fußpfad führt durch eine Ginsterböschung auf die Anhöhe der Lehmklippe hinauf, draußen auf dem bleifarbenen Meer begleitet ihn ein Segelboot, genauer gesagt schien es ihm, als stünde es still und als käme er selber, Schritt für Schritt, so wenig vom Fleck wie der unsichtbare Geisterfahrer mit seiner bewegungslosen Barke. Hinter einem niedrigen Elektrozaun lagerte eine an die hundert Stück zählende Schweineherde auf der von ein paar mageren Kamillenbüschen bewachsenen braunen Erde. Der Himmel verdunkelte sich zusehends, die Barke, die so lang sich nicht fortbewegt hatte, war auf einmal verschwunden. Auf dem ummauerten Adige im Stadtinneren Veronas hätte ein Segelboot nicht den gleichen Zauber entfachen können, der Dichter ist auf eine andere Begleitung angewiesen, eine Begleitung etwa in Form eines hellfarbigen Hundes mit einem schwarzen Fleck wie einer Klappe über dem linken Auge, der sich ihm denn auch ohne weitere Rückfrage anschließt. Hunde sind grundsätzlich als nichtmaritime Wesen zu werten, ihre Verbundenheit mit dem Wasser ist aber auf einer großen Brandweite unterschiedlich. Die einen nutzen auch noch den kleinsten Vorwand, um sich ins Wasser zu stürzen, andere meiden das Naß so gut und weit wie nur möglich. Wie der Hund mit dem schwarzen Fleck einzuordnen wäre, bleibt offen. Er ist immer ein Stück weit voraus, bleibt sein Mentor stehen, um ein wenig auf den Fluß hinab zusehen, hält auch der Hund und schaut versonnen auf das fließende Wasser. Wenn es weiter geht, macht auch der Hund sich wieder auf den Weg. Als der Dichter allerdings den Corso Cavour überquert, bleibt der Hund zurück auf der anderen Straßenseite, er ist dem Wasser wohl doch enger verbunden, als sich erahnen ließ.

Sonntag, 10. April 2022

Ländliche Wirtshäuser

 Gefahren

In Gaststätten, so der Dichter, würde er meistens schlecht bedient, als Kontrast hebt er den geradezu märchenhaften Empfang in  der Goldenen Taube in Verona hervor. Auf dem gewohnten Niveau bewegt er sich dann wieder in den Tiroler Stuben zu Innsbruck, wo ihm die Bedienerin auf die bösartigste Weise, die man sich denken kann, das Maul anhängt. Gut oder schlecht bedient, eine Gefahr für Leib und Leben besteht jedenfalls nicht. Von Gefahr konnte womöglich die Rede sein, als er im Stehbuffet der Ferrovia Venedig die Augenpaare zweier verdächtiger junger Männer auf sich gerichtet spürte. Wenn er als Kind vom Vater in den Gasthof geschickt wurde Zigaretten zu holen, hatte er noch keinen Überblick auf das Gesamtgeschehen. Zwar bemerkte er, daß die Bauern gruppenweise an den Tischen saßen, der Jäger Schlag dagegen einsam, seine ganze Aufmerksamkeit galt aber allein dem schönen Serviermädchen Romana. Als er dann die Romana mit dem Jäger bei einer seltsamen Körperertüchtigung im Holzschopf beobachtete, der einarmige Engelwirt daraufhin tags darauf die ganze Einrichtung der Gaststätte zerschlug und der Jäger kurze Zeit später tödlich verunglückte, wußte er sich keinen rechten Reim zu machen. Nach einem ereignis- und erlebnisreichen Ausflug kehren Edmund Szerucki und Witek Różański in einer kleinen ländlichen Ortschaft ein bei einem Wirtshaus mit Namen Pod Łososiem, ihr Hunger ist erheblich. Sie sind sich im klaren darüber, daß die Einkehr in einem Wirtshauses ländlicher Gegend nicht ganz ungefährlich ist, Fremde werden beargwöhnt, die Folgen sind nicht immer friedlich. Da ist es schon eine Erleichterung, keine jungen Leute im Pod Łososiem anzutreffen, die Älteren sind um einiges stiller, tatsächlich können Edmund und Witek weitgehend unbehelligt ihren Appetit stillen. An  der Festveranstaltung im Wagenschuppen will Pradera sozusagen nur passiv teilnehmen, ein wenig trinken, selbst nicht tanzen, aber ein wenig zuschauen, wie die anderen tanzen, und schon frühzeitig zurückkehren in seine Unterkunft. Gerade seine Passivität mißfällt einigen der Festteilnehmer, wieso  er nicht tanze, ob ihm die Mädchen aus dem Dorf nicht gefallen, und was er für seltsame Knöpfe er an der Jacke habe. Eine Auseinandersetzung scheint unvermeidlich, da fragt hinter ihm jemand: Soll ich unsere Leute holen? Die Leute sind nur erdacht, gleichwohl ziehen sich die beiden Händelsuchenden zurück, bei dem Mann in Praderas Rücken handelt es sich um einen gewissen Michał Kątny. Tage später bricht Pradera in aller Frühe auf zum Milchladen, wo man ohne Schwierigkeiten ein Viertel oder zwei Viertel zum Beginn des Tages trinken konnte. Dazu ein Stück Brot. Eine Tomate. Dann mußte man weitersehen. Auch der Weg zu diesem Wirtshaus, wenn man den Milchladen so einstufen will, ist nicht gänzlich ohne Gefahr. Immer wieder begegnen ihm in Gegenrichtung Leute, die zu ihrem Arbeitsplatz eilen. Es ist ein Unterschied, Familienväter, die im Morgengrauen zur Arbeit hasten oder zum frühen Arbeiterzug, denen er den Weg freimacht, um ihnen keine unnötigen Schritte zuzumuten, und auf der anderen Seite eine Bande jugendlicher Nachkommen, die sich rücksichtslos dahinbewegen. Sie kommen ihm also entgegen, und er geht ihnen entgegen auf derselben Seite des Gehwegs, macht keinen Schritt zur Seite, obwohl er Angst hat, die Wangen steif werden und die Waden zu zittern beginnen, denn er weiß, sie können auf mich losgehen oder etwas sagen und er muß dann etwas sagen, und einer von ihnen sagt: Hast du nach der Befreiung schon einmal einen auf die Rübe bekommen? Er antwortet etwas im gleichen hohen Stil und entweder bleibt es beim Wortwechsel, oder er bekomme etwas ab am hellichten Tag und liegt da, mitten auf der Straße, unter den Augen der Mitbürger. Denn niemand rührt sich und kommt ihm zur Hilfe. Und was weiter? Erst einmal geht es nicht weiter. Die Wunden lecken. Dann erst kann es weitergehen. Rache. Einem von ihnen lange auflauern, und dann verläßt er heimlich die Stadt. So ist es oft gewesen. Er ist der Rächer.