Nur Jünger
Von Paul Bereyter heißt es einerseits, er sei gottgläubig, und andererseits, nichts sei ihm so zuwider wie die katholische Salbaderei. Das zielt wohl nicht auf die allgemein als Kunstwerk zur Bewahrung des Glaubens respektierte Tridentinische Messe, sondern auf Äußerungen im katholischen Alltag, wie man sie exemplarisch in den gelispelten Worten des Katecheten Meier sowie, mit dröhnender Stimme vorgetragen, vom Benefiziaten Meyer zu hören bekommt. Das für ihre Verrichtungen unerläßliche Weihwasser entnehmen sie einem das flammende Herz Christi darstellenden Behältnis. Der im flammenden Herzen aufscheinende physiologische Mystizismus will nicht mehr recht in unsere Zeit passen. San Giorgio war denn auch schon bald ausgestiegen aus Grünewalds Heiligentableau, auf dem mindestens einer der Heiligen den Kopf unterm Arm trug, um, den Anforderungen der Neuzeit entsprechend, mit einem Strohhut bekleidet bei Pisanello wieder aufzutauchen. Überhaupt nimmt der Anteil der Gläubigen ab in unserer Zeit, und die Zahl der Ungläubigen steigt. Aber auch viele Ungläubige wollen von der Gestalt des Christus nicht endgültig Abschied nehmen. Einige, die das Augenmerk auf die Unterstützung der Armen richten, sehen in ihm eine Art sehr frühen Karl Marx, dem allerdings die nationalökonomischen Kenntnisse noch fehlten. Andere sehen daraufhin theoretisch weniger belasteten Revolutionäre wie Che Guevara als für den Vergleich geeigneter an; Ches sadistische Gewaltbereitschaft fügt sich aber den Mindestanforderungen der Christenlehre nicht. Wieder andere betonen denn auch die Sanftmut des Christus und erkennen in ihm den ersten neuen Mann mit starker weiblicher Komponente und jedenfalls Herr seines Testosteron. Auf dem bekannten Szenenphoto aus Giants wird James Dean das im Nacken gehaltene Gewehr, beide Arme darüber geworfen, zum Kreuzesbalken, die Füße sind eng beieinander, ein Nagel würde reichen für die Fixierung, Liz Taylor schaut zu ihm auf, als sei sie Maria Magdalena, zwischen den Fingern der linken Hand aber hält er die Zigarette, sublimer Trost, der dem Gekreuzigten von Golgatha vorenthalten war. Der Frage, welche Absicht der Leinwanddichter mit der beeindruckenden Bildkomposition verfolgt hat, wollen wir nicht nachgehen. Selbst bei Chandlers Detektiv Marlowe sind schon Züge des Jesus von Nazareth entdeckt worden. Das wird ebenfalls übersprungen zugunsten der sich dann unmittelbar aufdrängenden Frage, ob sich ähnliches auch vom Erzähler und zugleich Ermittler im Kriminalroman Schwindel.Gefühle sowie in den folgenden drei Prosawerken sagen läßt.
Und er antwortete ihnen und sprach: Wer ist meine Mutter und meine Brüder? Und er sah rings um sich auf die Jünger, die im Kreise saßen und sprach: Siehe, das ist meine Mutter und meine Brüder: ein weitreichender Satz im Markusevangelium, der nicht nur die ihrerseits folgenreiche Glorifizierung der Kernfamilie mit Maria, Joseph und dem Jesuskind im Stall in Frage stellt, sondern auch die ursprüngliche Einheit von Gesellschafts- und Verwandtschaftsstrukturen, den Structures élémentaires de la parenté, und der zugleich auch schon den Universalismusbefehl des Paulus so gut wie vorwegnimmt: Hier ist kein Jude noch Grieche, hier ist kein Knecht noch Freier, hier ist kein Mann noch Weib. Das alles aber bleibt hier weitgehend unbeachtet und der Blick auf Selysses gerichtet.
Als Selysses uns das erste Mal begegnet, in Wien, hat er sich von der Familie, von der Mutter und den Brüdern mit den Worten des Evangelisten, entfernt, die weiteren Kontakte werden äußerst spärlich bleiben. Allerdings stehen auch keine Jünger als Ersatz bereit, er hat niemanden, mit dem er sprechen kann, bloß mit den Dohlen in den Anlagen vor dem Rathaus hat er einiges geredet und mit einer weißköpfigen Amsel. Die Rekrutierung der Jünger geht im weiteren nur schleppend voran, Herbeck in Klosterneuburg ist zu nennen, Malachi in Venedig und Salvatore Altamura in Verona. Salvatore, das erzeugt ein leichtes Schwindelgefühl und den Eindruck der Seitenverkehrtheit. Tatsächlich ist es nicht Selysses, der beginnt, in Gleichnissen zu reden, von seinen Worten wird, wenn er denn reden sollte, nichts berichtet, es ist Malachi mit dem Prophetennamen, der sich zu den schwierigen Fragen der Auferstehung des Fleisches äußert und abschließend nach Jerusalem einlädt, es ist Altamura mit dem Namen des Heilands, Salvatore, der zum Abschied ein Engelsbild hinterläßt. Vergleichbar unmittelbar biblische Elemente fehlen bei der Rekrutierung von Selwyn, Bereyter, Mme. Landau, Adelwarth, Aurach und anderen in den Ausgewanderten und auch bei Austerlitz, sie tauchen wieder auf bei Le Strange, der von Vögeln umschwärmt wird wie der heilige Franz und sich in einem Erdloch vergräbt wie der heilige Hieronymus, oder bei Mrs. Ashbury, die zum Himmel auffährt und im Plafond steckenbleibt. Die biblischen Elemente sind aber ohnehin nicht das Entscheidende. Entscheidend ist das Zusammenleben der Jünger.
Selysses reist und wandert so rastlos durch die Welt wie Christus durch das Heilige Land, allerdings ohne eine zur Zahl zwölf anwachsende Jüngerschar, die ihm folgen würde. Wie die Kommentatoren ausführen, waren auch die Jünger allein, als sie dem Herrn folgten, denn sie verstanden ihn nicht, erst bei seinem Tode begann es ihnen zu dämmern, einem jeden für sich, und erst als er entrückt war, war er bei ihnen. Wer wollte bestreiten, daß es eine Form der Nächstenliebe ist, die zwischen Selysses und seinen Mitjüngern herrscht. Die Frauenquote, Mme. Landau, Mrs. Ashbury und einige andere sind zu nennen, hat sich gegenüber dem Gefolge Christi kaum verbessert, dennoch kann der Heiland zufrieden sein. Außerhalb des Kreises der Jünger und Jüngerinnen aber bleibt es bei der Betrachtung der Welt nicht bei dem einen, von Selysses diagnostizierten Kunstfehler, der dem Herrn bei der Heilung des Gadareners unterlaufen war, als zweitausend unschuldige Säue über die Klippe springen mußte. Blickt man unvoreingenommen ins weite Rund, so ist die Zahl der Kunstfehler Legion.
Von Paul Bereyter heißt es einerseits, er sei gottgläubig, und andererseits, nichts sei ihm so zuwider wie die katholische Salbaderei. Das zielt wohl nicht auf die allgemein als Kunstwerk zur Bewahrung des Glaubens respektierte Tridentinische Messe, sondern auf Äußerungen im katholischen Alltag, wie man sie exemplarisch in den gelispelten Worten des Katecheten Meier sowie, mit dröhnender Stimme vorgetragen, vom Benefiziaten Meyer zu hören bekommt. Das für ihre Verrichtungen unerläßliche Weihwasser entnehmen sie einem das flammende Herz Christi darstellenden Behältnis. Der im flammenden Herzen aufscheinende physiologische Mystizismus will nicht mehr recht in unsere Zeit passen. San Giorgio war denn auch schon bald ausgestiegen aus Grünewalds Heiligentableau, auf dem mindestens einer der Heiligen den Kopf unterm Arm trug, um, den Anforderungen der Neuzeit entsprechend, mit einem Strohhut bekleidet bei Pisanello wieder aufzutauchen. Überhaupt nimmt der Anteil der Gläubigen ab in unserer Zeit, und die Zahl der Ungläubigen steigt. Aber auch viele Ungläubige wollen von der Gestalt des Christus nicht endgültig Abschied nehmen. Einige, die das Augenmerk auf die Unterstützung der Armen richten, sehen in ihm eine Art sehr frühen Karl Marx, dem allerdings die nationalökonomischen Kenntnisse noch fehlten. Andere sehen daraufhin theoretisch weniger belasteten Revolutionäre wie Che Guevara als für den Vergleich geeigneter an; Ches sadistische Gewaltbereitschaft fügt sich aber den Mindestanforderungen der Christenlehre nicht. Wieder andere betonen denn auch die Sanftmut des Christus und erkennen in ihm den ersten neuen Mann mit starker weiblicher Komponente und jedenfalls Herr seines Testosteron. Auf dem bekannten Szenenphoto aus Giants wird James Dean das im Nacken gehaltene Gewehr, beide Arme darüber geworfen, zum Kreuzesbalken, die Füße sind eng beieinander, ein Nagel würde reichen für die Fixierung, Liz Taylor schaut zu ihm auf, als sei sie Maria Magdalena, zwischen den Fingern der linken Hand aber hält er die Zigarette, sublimer Trost, der dem Gekreuzigten von Golgatha vorenthalten war. Der Frage, welche Absicht der Leinwanddichter mit der beeindruckenden Bildkomposition verfolgt hat, wollen wir nicht nachgehen. Selbst bei Chandlers Detektiv Marlowe sind schon Züge des Jesus von Nazareth entdeckt worden. Das wird ebenfalls übersprungen zugunsten der sich dann unmittelbar aufdrängenden Frage, ob sich ähnliches auch vom Erzähler und zugleich Ermittler im Kriminalroman Schwindel.Gefühle sowie in den folgenden drei Prosawerken sagen läßt.
Und er antwortete ihnen und sprach: Wer ist meine Mutter und meine Brüder? Und er sah rings um sich auf die Jünger, die im Kreise saßen und sprach: Siehe, das ist meine Mutter und meine Brüder: ein weitreichender Satz im Markusevangelium, der nicht nur die ihrerseits folgenreiche Glorifizierung der Kernfamilie mit Maria, Joseph und dem Jesuskind im Stall in Frage stellt, sondern auch die ursprüngliche Einheit von Gesellschafts- und Verwandtschaftsstrukturen, den Structures élémentaires de la parenté, und der zugleich auch schon den Universalismusbefehl des Paulus so gut wie vorwegnimmt: Hier ist kein Jude noch Grieche, hier ist kein Knecht noch Freier, hier ist kein Mann noch Weib. Das alles aber bleibt hier weitgehend unbeachtet und der Blick auf Selysses gerichtet.
Als Selysses uns das erste Mal begegnet, in Wien, hat er sich von der Familie, von der Mutter und den Brüdern mit den Worten des Evangelisten, entfernt, die weiteren Kontakte werden äußerst spärlich bleiben. Allerdings stehen auch keine Jünger als Ersatz bereit, er hat niemanden, mit dem er sprechen kann, bloß mit den Dohlen in den Anlagen vor dem Rathaus hat er einiges geredet und mit einer weißköpfigen Amsel. Die Rekrutierung der Jünger geht im weiteren nur schleppend voran, Herbeck in Klosterneuburg ist zu nennen, Malachi in Venedig und Salvatore Altamura in Verona. Salvatore, das erzeugt ein leichtes Schwindelgefühl und den Eindruck der Seitenverkehrtheit. Tatsächlich ist es nicht Selysses, der beginnt, in Gleichnissen zu reden, von seinen Worten wird, wenn er denn reden sollte, nichts berichtet, es ist Malachi mit dem Prophetennamen, der sich zu den schwierigen Fragen der Auferstehung des Fleisches äußert und abschließend nach Jerusalem einlädt, es ist Altamura mit dem Namen des Heilands, Salvatore, der zum Abschied ein Engelsbild hinterläßt. Vergleichbar unmittelbar biblische Elemente fehlen bei der Rekrutierung von Selwyn, Bereyter, Mme. Landau, Adelwarth, Aurach und anderen in den Ausgewanderten und auch bei Austerlitz, sie tauchen wieder auf bei Le Strange, der von Vögeln umschwärmt wird wie der heilige Franz und sich in einem Erdloch vergräbt wie der heilige Hieronymus, oder bei Mrs. Ashbury, die zum Himmel auffährt und im Plafond steckenbleibt. Die biblischen Elemente sind aber ohnehin nicht das Entscheidende. Entscheidend ist das Zusammenleben der Jünger.
Selysses reist und wandert so rastlos durch die Welt wie Christus durch das Heilige Land, allerdings ohne eine zur Zahl zwölf anwachsende Jüngerschar, die ihm folgen würde. Wie die Kommentatoren ausführen, waren auch die Jünger allein, als sie dem Herrn folgten, denn sie verstanden ihn nicht, erst bei seinem Tode begann es ihnen zu dämmern, einem jeden für sich, und erst als er entrückt war, war er bei ihnen. Wer wollte bestreiten, daß es eine Form der Nächstenliebe ist, die zwischen Selysses und seinen Mitjüngern herrscht. Die Frauenquote, Mme. Landau, Mrs. Ashbury und einige andere sind zu nennen, hat sich gegenüber dem Gefolge Christi kaum verbessert, dennoch kann der Heiland zufrieden sein. Außerhalb des Kreises der Jünger und Jüngerinnen aber bleibt es bei der Betrachtung der Welt nicht bei dem einen, von Selysses diagnostizierten Kunstfehler, der dem Herrn bei der Heilung des Gadareners unterlaufen war, als zweitausend unschuldige Säue über die Klippe springen mußte. Blickt man unvoreingenommen ins weite Rund, so ist die Zahl der Kunstfehler Legion.
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