Betrachter im Bild
indiferent com un musulmà
Auf seiner gemeinsamen Orientreise mit Cosmo Solomon läßt sich Ambros Adelwarth in einem arabisches Kostüm photographieren. Das Photo findet sich nicht nur im Inneren des Buches, sondern auch auf dem Schutzumschlag der Ausgewanderten in der Ausgabe des Eichbornverlages und, erstaunlich, auf der Hülle eines Hörbuches mit einer Dichterlesung der Erzählung Max Aurach, zu der es gar nicht paßt. Das Photo erhält eine Bedeutung, die ihm der Leser aus eigener Kraft kaum beimessen würde. Wird er auf etwas Verborgenes hingewiesen? In der Goldenen Taube zu Verona trägt sich Selysses unter falschem Namen als Jakob Philipp Fallmerayer, Historiker und Orientalist, ein, streift sich also gewissermaßen ein orientalisches Gewand über. Vielleicht ist er es und nicht Adelwarth, den wir im arabischen Kostüm sehen, an falsch deklarierte Bilder sind wir gewöhnt.
Selysses beginnt seine vierbändige Prosareise in Wien, vor dessen Toren bekanntlich mehrfach die Türken gestanden sind, und reist von dort weiter nach Venedig, in der frühen Neuzeit das Tor zum Orient und Heimat des Malers Tiepolo, dessen Bilder in verwunderlichem, durch die Realität kaum gedecktem Maße von Orientalen bevölkert werden, zumeist würdige ältere Männer mit Turban und langem Bart. Roberto Calasso erklärt: Nella pittura Tiepolo volle che fosse incluso l'atto del guardare. E lo affidò a una classe di figure: gli Orientali. Avrebbero avuto una funzione precisa e altissima: essere i testimoni, essere il primo sguardo che si posa sulla scena che poi sarà osservato dallo spettatore. Se un occhio, se vari occhi si annidavano nella pittura e la guardavano, prima ancora che la guardasse qualcun altro, in ogni immagine si aggiungeva in nuovo livello, un gradino invisibile.
Selysses begenet Tiepolo häufiger als jedem anderen Maler und bestückt auch seine eigenen Berichte mit Orientalen. Stellen wir uns Manchester vor, nach den Vorgaben der Erzählung Aurach von Tiepolo gemalt. Das okzidentale Personal besteht aus Selysses, Gracie Irlam, Aurach sowie vermutlich dem Taxifahrer am Flugplatz sowie dem Knaben mit dem Wägelchen und dem stummen Gesellen darin, das orientale Personal aus dem umfangreichen Klan, der das Wadi Halfa bewirtschaftet. Die morgenländischen Figuren sind demnach rechnerisch in der Überzahl. Auch in den Niederlanden ist der Anteil morgenländischer Männer ausgesprochen hoch. Da stellt sich die Frage, wer wen beobachtet. Aber hat Calasso Tiepolos Orientalen betreffend die ganze Wahrheit gesagt und muß, was für sie in der Malerei gelten mag, auch für die morgenländischen Männer in der Prosa gelten, und ferner: haben der Betrachter im Bild und der Betrachter des Bildes den gleichen Blickwinkel? Nicht nur, daß der Betrachter im Bild dem Betrachter des Bildes voraus ist, die Betrachter sind nicht von der gleichen Art. Im Betrachter des Bildes kann der Wunsch erweckt werden, alles aufgeben zu können außer dem Schauen, der Betrachter im Bild ist dafür zu sehr involviert in das dargestellte Geschehen. Das Gesehene muß beim Betrachter im Bild irgendeinen Eindruck hinterlassen, Zustimmung oder Mißbilligung, Tiepolos Orientalen ist allerdings nicht anzusehen, was sie denken und empfinden. Die Betreiber des Wadi Halfa und die morgenländischen Männer in Holland sind nicht weniger undurchsichtig, Aurach wird neben der schlechte Qualität des Essens die Leere schätzen, die dadurch entsteht. Selysses findet keinen Orientalen als Gesprächspartner, wohl aber eine Orientalin, die aus der Türkei stammende Saaleschifferin in Kissingen. Man wird sich einig in einem kulturübergreifenden philosophischen Ansatz, der in der These gipfelt, nichts sei so unendlich und so gefährlich wie die Dummheit. Die meisten Orientalen aber bekommen wir gar nicht zu Gesicht, sie selbst haben kein Gesicht, sie sind verborgen in den Karawanen, die immer wieder durch die Bücher ziehen, in Manchester oder Paris, in Amerika oder in Wales, in Holland, Italien oder London, von ungeschickter Hand gemalte Karawanen, Karawanen als Fimsequenz inszeniert, halluzinierte Karawanen, keine Betrachter, eher Menetekel am Horizont oder vielleicht Verheißung.
indiferent com un musulmà
Auf seiner gemeinsamen Orientreise mit Cosmo Solomon läßt sich Ambros Adelwarth in einem arabisches Kostüm photographieren. Das Photo findet sich nicht nur im Inneren des Buches, sondern auch auf dem Schutzumschlag der Ausgewanderten in der Ausgabe des Eichbornverlages und, erstaunlich, auf der Hülle eines Hörbuches mit einer Dichterlesung der Erzählung Max Aurach, zu der es gar nicht paßt. Das Photo erhält eine Bedeutung, die ihm der Leser aus eigener Kraft kaum beimessen würde. Wird er auf etwas Verborgenes hingewiesen? In der Goldenen Taube zu Verona trägt sich Selysses unter falschem Namen als Jakob Philipp Fallmerayer, Historiker und Orientalist, ein, streift sich also gewissermaßen ein orientalisches Gewand über. Vielleicht ist er es und nicht Adelwarth, den wir im arabischen Kostüm sehen, an falsch deklarierte Bilder sind wir gewöhnt.
Selysses beginnt seine vierbändige Prosareise in Wien, vor dessen Toren bekanntlich mehrfach die Türken gestanden sind, und reist von dort weiter nach Venedig, in der frühen Neuzeit das Tor zum Orient und Heimat des Malers Tiepolo, dessen Bilder in verwunderlichem, durch die Realität kaum gedecktem Maße von Orientalen bevölkert werden, zumeist würdige ältere Männer mit Turban und langem Bart. Roberto Calasso erklärt: Nella pittura Tiepolo volle che fosse incluso l'atto del guardare. E lo affidò a una classe di figure: gli Orientali. Avrebbero avuto una funzione precisa e altissima: essere i testimoni, essere il primo sguardo che si posa sulla scena che poi sarà osservato dallo spettatore. Se un occhio, se vari occhi si annidavano nella pittura e la guardavano, prima ancora che la guardasse qualcun altro, in ogni immagine si aggiungeva in nuovo livello, un gradino invisibile.
Selysses begenet Tiepolo häufiger als jedem anderen Maler und bestückt auch seine eigenen Berichte mit Orientalen. Stellen wir uns Manchester vor, nach den Vorgaben der Erzählung Aurach von Tiepolo gemalt. Das okzidentale Personal besteht aus Selysses, Gracie Irlam, Aurach sowie vermutlich dem Taxifahrer am Flugplatz sowie dem Knaben mit dem Wägelchen und dem stummen Gesellen darin, das orientale Personal aus dem umfangreichen Klan, der das Wadi Halfa bewirtschaftet. Die morgenländischen Figuren sind demnach rechnerisch in der Überzahl. Auch in den Niederlanden ist der Anteil morgenländischer Männer ausgesprochen hoch. Da stellt sich die Frage, wer wen beobachtet. Aber hat Calasso Tiepolos Orientalen betreffend die ganze Wahrheit gesagt und muß, was für sie in der Malerei gelten mag, auch für die morgenländischen Männer in der Prosa gelten, und ferner: haben der Betrachter im Bild und der Betrachter des Bildes den gleichen Blickwinkel? Nicht nur, daß der Betrachter im Bild dem Betrachter des Bildes voraus ist, die Betrachter sind nicht von der gleichen Art. Im Betrachter des Bildes kann der Wunsch erweckt werden, alles aufgeben zu können außer dem Schauen, der Betrachter im Bild ist dafür zu sehr involviert in das dargestellte Geschehen. Das Gesehene muß beim Betrachter im Bild irgendeinen Eindruck hinterlassen, Zustimmung oder Mißbilligung, Tiepolos Orientalen ist allerdings nicht anzusehen, was sie denken und empfinden. Die Betreiber des Wadi Halfa und die morgenländischen Männer in Holland sind nicht weniger undurchsichtig, Aurach wird neben der schlechte Qualität des Essens die Leere schätzen, die dadurch entsteht. Selysses findet keinen Orientalen als Gesprächspartner, wohl aber eine Orientalin, die aus der Türkei stammende Saaleschifferin in Kissingen. Man wird sich einig in einem kulturübergreifenden philosophischen Ansatz, der in der These gipfelt, nichts sei so unendlich und so gefährlich wie die Dummheit. Die meisten Orientalen aber bekommen wir gar nicht zu Gesicht, sie selbst haben kein Gesicht, sie sind verborgen in den Karawanen, die immer wieder durch die Bücher ziehen, in Manchester oder Paris, in Amerika oder in Wales, in Holland, Italien oder London, von ungeschickter Hand gemalte Karawanen, Karawanen als Fimsequenz inszeniert, halluzinierte Karawanen, keine Betrachter, eher Menetekel am Horizont oder vielleicht Verheißung.
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