Chiaroscuro
Allen verfügbaren Hinweisen zufolge hat der Dichter nach dem Ende seiner Kindheit nie wieder eine Kirche während der heiligen Messe betreten, auf Korsika durchbricht er die Regel. Die Kirchentür ist offen, drinnen wird die Messe gelesen. Er stellt sich in die letzte Reihe. Die Gemeinde besteht fast nur aus alten, schwarz gekleideten Frauen. Der junge Priester hingegen ist großgewachsen, hat ein auffallend markantes Kinn und einen militärischen Haarschnitt. Er blickt hinauf zu den an das Tonnengewölbe gemalten Fresken, kann aber nichts erkennen. Als der Priester sich anschickt, die Kommunion auszuteilen, die für ihn immer der ungeheuerste Teil der Liturgie gewesen ist, geht er hinaus. Warum ist ihm, als er aufschaute zu den Fresken, nicht Tiepolo in den Sinn gekommen, an den er so oft schon gedacht hat. Als er nach Italien einreist, hat er Tiepolos Santa Tecla libera Este della peste vor Augen, bei der Rast in der Krummenbacher Kapelle sieht er vor seinem inneren Auge Tiepolo zuoberst auf dem Gerüst einen halben Meter unter der Decke des Treppenhauses der Würzburger Residenz liegen, wie er trotz der Schmerzen in seinem rechten Arm mit sicherer Hand die Farblasur einträgt, und zusammen mit Aurach beugt er sich über einen Bildband, der die Wunderwelt des Würzburger Deckengemäldes ausbreitet. Warum also kein Gedanke an Tiepolos Ultima cena?
Der flüchtige erste Blick sieht in Tiepolos Werk vielleicht gar keine Abendmahlsdarstellung. Die klassischen Darstellungen, man nehme etwa Giotto, zeigen eine kompakte, eng gefügte Gruppe aus Heiland und Jüngern, bei Bassano ist es ein rechtes Gedränge und Getümmel der Leiber. Hier ist es eine überwiegend in recht entspannter Haltung locker um den Tisch gescharte Versammlung mit reichlich freien Plätzen, rechts und links vom Tisch ahnt man viel freien Raum, nach oben hinaus umso mehr. Es ist nicht recht klar, ob man in dem palastähnlichen Gebäude tafelt oder davor auf einer Art Veranda. Keine Spur der Flora ist zu sehen, die Fauna ist durch einen Hund am unteren Bildrand vertreten. Der helle Sandstein des Gebäudes, der durch die vier dunkelgrünen Säulen nur noch lichter wirkt, bestimmt den Ton, davor die farbenträchtigen Kleider der Tafelnden. Wollte man die Prosa des Dichters in Farben beschreiben, käme man zu einer ähnlichen Palette. Um den Christuskopf leuchtet die Sandsteinfarbe aufgrund eines momentanen Lichtspiels – vielleicht hängt es zusammen mit der im Hintergrund herabhängenden Plane – um einige Grad intensiver. Zwei ebenso steinerne wie liebliche Frauen blicken von hinten auf die Versammelten und beheben das Bedrückende, das reine Männergesellschaften unvermeidbar an sich haben. Bei dem Apostel an der rechten Tischseite kann man nicht sicher sein, ob er den Christus oder aber, hinten an der Säule vorbei, die links plazierte Schöne betrachtet. Mit dem Mahl, das ohnehin seinem Ende entgegen zugehen scheint, ist er, so wie er sich zurückschiebt vom Tisch, offenbar schon fertig. - Ein Bild von nahezu unmerklich sakral veredelter Weltlichkeit, das alles Ungeheuerliche der Abendmahlsliturgie vergessen läßt.
Der Dichter denkt nicht an Tiepolo und schwer wäre es auch, beim Blick in das dunkle Tonnengewölbe der korsischen Kirche Tiepolos lichtes Bild sich vorzustellen. Die Häuser der Altstadt draußen sind in einem bösen Zustand. Aus schwarzen Eingängen und Mauerlöchern schauen die mageren korsischen Katzen hervor, stumm und klug, schwarz wie die alten, schwarz gekleideten Kirchgängerinnen.
Allen verfügbaren Hinweisen zufolge hat der Dichter nach dem Ende seiner Kindheit nie wieder eine Kirche während der heiligen Messe betreten, auf Korsika durchbricht er die Regel. Die Kirchentür ist offen, drinnen wird die Messe gelesen. Er stellt sich in die letzte Reihe. Die Gemeinde besteht fast nur aus alten, schwarz gekleideten Frauen. Der junge Priester hingegen ist großgewachsen, hat ein auffallend markantes Kinn und einen militärischen Haarschnitt. Er blickt hinauf zu den an das Tonnengewölbe gemalten Fresken, kann aber nichts erkennen. Als der Priester sich anschickt, die Kommunion auszuteilen, die für ihn immer der ungeheuerste Teil der Liturgie gewesen ist, geht er hinaus. Warum ist ihm, als er aufschaute zu den Fresken, nicht Tiepolo in den Sinn gekommen, an den er so oft schon gedacht hat. Als er nach Italien einreist, hat er Tiepolos Santa Tecla libera Este della peste vor Augen, bei der Rast in der Krummenbacher Kapelle sieht er vor seinem inneren Auge Tiepolo zuoberst auf dem Gerüst einen halben Meter unter der Decke des Treppenhauses der Würzburger Residenz liegen, wie er trotz der Schmerzen in seinem rechten Arm mit sicherer Hand die Farblasur einträgt, und zusammen mit Aurach beugt er sich über einen Bildband, der die Wunderwelt des Würzburger Deckengemäldes ausbreitet. Warum also kein Gedanke an Tiepolos Ultima cena?
Der flüchtige erste Blick sieht in Tiepolos Werk vielleicht gar keine Abendmahlsdarstellung. Die klassischen Darstellungen, man nehme etwa Giotto, zeigen eine kompakte, eng gefügte Gruppe aus Heiland und Jüngern, bei Bassano ist es ein rechtes Gedränge und Getümmel der Leiber. Hier ist es eine überwiegend in recht entspannter Haltung locker um den Tisch gescharte Versammlung mit reichlich freien Plätzen, rechts und links vom Tisch ahnt man viel freien Raum, nach oben hinaus umso mehr. Es ist nicht recht klar, ob man in dem palastähnlichen Gebäude tafelt oder davor auf einer Art Veranda. Keine Spur der Flora ist zu sehen, die Fauna ist durch einen Hund am unteren Bildrand vertreten. Der helle Sandstein des Gebäudes, der durch die vier dunkelgrünen Säulen nur noch lichter wirkt, bestimmt den Ton, davor die farbenträchtigen Kleider der Tafelnden. Wollte man die Prosa des Dichters in Farben beschreiben, käme man zu einer ähnlichen Palette. Um den Christuskopf leuchtet die Sandsteinfarbe aufgrund eines momentanen Lichtspiels – vielleicht hängt es zusammen mit der im Hintergrund herabhängenden Plane – um einige Grad intensiver. Zwei ebenso steinerne wie liebliche Frauen blicken von hinten auf die Versammelten und beheben das Bedrückende, das reine Männergesellschaften unvermeidbar an sich haben. Bei dem Apostel an der rechten Tischseite kann man nicht sicher sein, ob er den Christus oder aber, hinten an der Säule vorbei, die links plazierte Schöne betrachtet. Mit dem Mahl, das ohnehin seinem Ende entgegen zugehen scheint, ist er, so wie er sich zurückschiebt vom Tisch, offenbar schon fertig. - Ein Bild von nahezu unmerklich sakral veredelter Weltlichkeit, das alles Ungeheuerliche der Abendmahlsliturgie vergessen läßt.
Der Dichter denkt nicht an Tiepolo und schwer wäre es auch, beim Blick in das dunkle Tonnengewölbe der korsischen Kirche Tiepolos lichtes Bild sich vorzustellen. Die Häuser der Altstadt draußen sind in einem bösen Zustand. Aus schwarzen Eingängen und Mauerlöchern schauen die mageren korsischen Katzen hervor, stumm und klug, schwarz wie die alten, schwarz gekleideten Kirchgängerinnen.
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