Dienstag, 3. Oktober 2017

Verständlich

Griff ins Leere

Den Aufsatz über einen französischen Literaten leitet Cioran ein mit den Worten, C’est un véritable malheur pour un auteur que d’être compris. Was wie ein elegantes Paradox klingt, führt in unübersichtliche Verhältnisse. Mallarmé hatte gescherzt, Jetzt noch ein wenig Unverständlichkeit reinbringen, und fertig ist das Gedicht, er zeigt so, wie es nicht geht. Unverständlich ist in der Literatur nicht das Gegenteil von verständlich, Celan ist nicht von Haus aus bedeutender als Eichendorff. Es war, als hätt' der Himmel die Erde still geküßt, das ist ohne weiteres verständlich und wiederum doch nicht, jeder merkt es spätestens dann, wenn er die Zeile als Liedgesang in Schuhmanns Vertonung hört. Das Unglück bestünde für Cioran im rückstandslosen Verstehen, das Buch wäre dann wortlos zu schließen und nie wieder zu öffnen. Glücklich schätzen kann sich ein Leser, wenn er durch die Zeilen eilt wie eine Gestalt bei Kafka, die immer etwas versteht, das meiste aber nicht und immer unverzagt bleibt. Der Leser Kafkas muß dem Helden des Buches nur folgen, er wird anderes verstehen und anderes nicht verstehen, unberührt aber bleibt das Übergewicht des Unverstanden. Auch Becketts Helden sind ohne ersichtlichen Grund oft seltsam unverzagt, man denke nur an Mahood, ein Krüppel ohne Gliedmaßen, der in einer Art übergroßem Blumentopf sitzt, bei Tag und bei Nacht, bei Sonne und bei Regen vor einem Gasthaus als lebendige Reklamefigur, und der des Lobes voll ist für die Wirtin, die ihn schlecht und nicht recht ernährt und einmal in der Woche das Stroh wechselt, auf dem er sitzt. Gegen Ende dann, in Erzählungen wie Le dépeupleur oder Worstward Ho, als die Figuren keine Namen mehr haben, ist die Grenze von Verstand und Unverstand aufgehoben, die Unterscheidung greift ins Leere. Sebald, um pflichtgemäß einen Blick auf ihn zu werfen, ist so verständlich wie Eichendorff, daß wir ihn immer wieder aufs Neue lesen, belegt unerschöpfliche Vorräte des Unverstandenen.

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