Donnerstag, 11. Januar 2018

L’autre

Konvivialität

L'enfer c'est les autres, hatte Sartre herausgefunden, l’autre n’existe pas, beruhigt Cioran sogleich. Nun sind Ciorans Feststellungen selten von schlichter Zuverlässigkeit, und zudem bliebe, wenn er denn recht hätte, die Frage nach dem Verbleib der Hölle. So oder so, der Dissens auf der philosophischen Ebene verunsichert und stimmt auch den Dichter vorsichtig. Den Verkehr mit anderen beschränkt er auf das Notwendige. Auf Reisen ist er immer allein, ohne Reisegefährten und schon gar nicht ist er Mitglied einer Reisegruppe. Immer wieder hat er Halluzinationen des Alleinseins, große Städte scheinen wie entvölkert. Er hatte niemanden, mit dem er sprechen konnte, selbst die Telephone blieben stumm, bloß mit den Dohlen in den Anlagen vor dem Rathaus hat er einiges geredet und mit einer weißköpfigen Amsel: es klingt wie eine Klage, aber das mag täuschen, vielleicht taugt es ihm, wie man im Süden sagt, vielleicht ist es ihm gerade recht so. Ein wohldosierter Verkehr mit Menschen, die ihm begegnen oder die ihm einst begegnet sind, ist aber zulässig. Die Anderen, an denen ihm gelegen ist, können Tote sein, Bereyter, Adelwarth. Die Toten scheinen eine wohltuende Wirkung auszuüben auch auf die, die mit ihnen lebten, Mme Landau oder der Onkel Kasimir und die Tante Lina weisen weder höllische Merkmale auf noch bestehen Zweifel an ihrer Existenz. Naturgemäß gibt es auch zahlreiche positiver gefärbte Theorien über die Anderen. Bei den alten Griechen bestand das beste Leben darin, jeden Tag mit Freunden, also mit Anderen, ein paar Worte über die großen Dinge, ta megala, auszutauschen. Auch das leuchtet dem Dichter ohne weiteres ein, im Gespräch mit Malachi werden gewichtige Themen wie das Verbrennen der Welt oder die undurchsichtigen Abläufe bei der Auferstehung des Fleisches angeschnitten, im Gespräch mit Austerlitz das alles überwölbende Geheimnis der Zeit. Selbst verhält der Dichter sich in diesen Gesprächen überwiegend schweigsam, schon Sokrates ließ vorzüglich die anderen reden, allerdings aus anderen Gründen.

Langsam öffnete er, als ich mich niederbeugte zu ihm, sein kleines von hellen Wimpern umsäumtes Auge und blickte mich fragend an. Ich fuhr im mit der Hand über den unter der ungewohnten Berührung erschauernden Rücken und strich ihm über das Gesicht, bis er aufseufzte wie je ein von endlosem Leiden geplagter Mensch. Vielleicht war die an uns ergangene Aufforderung, im Anderen den Nächsten zu sehen, ihn zu lieben auf engstem Raum, denn doch zu blauäugig. In großer Nähe zeigt der Andere satanische Züge oder verschwindet gar im toten Augenwinkel. Entfernte Andere, beispielsweise Dohlen, Amseln oder Schweine mit ihren kleinen, von hellen Wimpern umsäumten Augen, und die Toten eben, lockern, wie uns vorgeführt wird, das Feld des Beisammenseins auf und entspannen die Lage. Sloterdijk spricht in diesem Zusammenhang, Luhmann zusätzlich und maßgeblich in die Diskussion einbeziehend, von posthumanistischer Konvivialität.

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