Dienstag, 23. Januar 2018

Unrecht

Tierwohl

Am Anfang war kein Unrecht, titelt Luhmann. Der Anfang, das war die Zeit, bevor Adam, angestiftet von der aufklärerisch gesonnenen Eva, in die Frucht vom Baum der Erkenntnis und dabei auch auf das Kerngehäuse des Rechts biß. Das von den Menschen auf diese Weise gefundene Recht gilt nur für die Menschen und, wie Regelungen zum Natur- und Tierschutz zeigen, für von ihm beschädigte Gegenden, für nichts und niemanden sonst in den endlosen Hallen des Alls, es sei denn, auch Gott hätte den Rechtsweg betreten.

Bloß mit den Dohlen in den Anlagen vor dem Rathaus hat er einiges geredet und mit einer weißköpfigen Amsel, heißt es in den Schwindel.Gefühlen, insgesamt aber ist die Präsenz der Tiere in diesem Werk und auch in dem nachfolgenden, den Ausgewanderten, gering. In den späteren Werken, den Ringen des Saturn und Austerlitz nimmt sie sprunghaft zu. Zu einem nicht geringen Teil sind es Tiere, denen, anders als den Dohlen und der Amsel in Wien, offensichtlich Unheil widerfährt. Gleich zu Beginn von Austerlitz treffen wir im Zwielicht des Antwerpener Nachtzoos auf den Waschbären, der am Bächlein sitzt und immer denselben Apfelschnitz wäscht, als hoffe er, durch dieses, weit über jede vernünftige Gründlichkeit hinausgehende Waschen entkommen zu können aus der falschen Welt, in die er gewissermaßen ohne sein eigenes Zutun geraten war. Ein höheres Maß an Deprivation noch weist die chinesische Wachtel auf, die uns in den Ringen des Saturn über den Weg läuft. Offenbar in einem Zustand der Demenz rennt sie in einem fort am rechten Seitengitter ihres Käfigs auf und ab und jedesmal, bevor sie kehrtmacht, schüttelt sie den Kopf, als begreife sie nicht, wie sie in diese aussichtslose Lage geraten sei. Eine träumerische Versunkenheit, wie sie vielleicht noch beim Waschbären annehmbar wäre, scheidet bei der Wachtel aus. Zurück zu Austerlitz und wiederum eine Reihe von Stufen höher auf der Leiter von Unrecht und Verzweiflung, hin zu den Tauben in ihrem Folter- und Todeskerker. Der Erdboden im Inneren des gemauerten Kogels war bedeckt mit dem unter dem eigenen Gewicht zusammengepreßten und doch bereits bis zu einer Höhe von zwei Fuß angewachsenen Taubendreck, auf dem zuoberst die Kadaver einiger todkrank aus ihren Nischen gestürzten Vogeltiere lagen, während ihre noch lebendigen Genossen, in einer Art von Altersdemenz, in der Düsternis unter dem Dach leise klagend durcheinander gurrten. - Den soweit vorgeführten Vertretern der Tierwelt hat die Domestikation und damit der Umzug in das Gebiet von Unrecht und Recht nicht zum Wohl gereicht und nicht zum Recht verholfen.

Wieder zurück zu den Ringen des Saturn. Langsam öffnete das Schwein, als er sich niederbeugte zu ihm, sein kleines von hellen Wimpern umsäumtes Auge und blickte ihn fragend an. Er fuhr im mit der Hand über den unter der ungewohnten Berührung erschauernden Rücken und strich ihm über das Gesicht, bis er aufseufzte wie je ein von endlosem Leiden geplagter Mensch, tatsächlich aber in wohliger Wollust. Vermittels einer seltsamen Alchemie ist nach einem alten Traum, einer alten Verheißung die Liebe an die Stelle von Recht und Unrecht getreten. Sogleich aber kommt die berüchtigte biblische Schweineszene in den Sinn: Der Herr aber befahl den bösen Geistern hineinzufahren in die Sauherde, und die Säue, von denen der Evangelist sagt, daß es an die zweitausend gewesen sind, stürzten sich von dem Abhang herab und ersoffenen in der Flut. Handelt es sich bei dieser grauenvollen Geschichte um den Bericht eines glaubwürdigen Zeugen, und wenn ja, bedeutet das nicht, daß unserem Herrn bei der Heilung des Gadareners ein böser Kunstfehler unterlaufen ist? Uns springt das Unrecht ins Auge, der Herr hat einen anderen Blickwinkel oder ein grundlegend anderes Rechtsverständnis.

Bei Nacht wurden die Netze ausgebracht, und bei Nacht wurden sie wieder eingeholt. Alles spielt sich ab in wüster Finsternis. Schließlich nehmen die Güterwagen den ruhelosen Wanderer der Meere auf, um ihn an die Stätten zu bringen, wo sich sein Schicksal auf dieser Erde endgültig erfüllen wird: die Tonspur des Films aus dem Jahre 1936 zum Fang und Transport der Heringe klingt grad so, als ginge es um die Verschickung der Juden. Das war die Zeit, als alles Recht zu Unrecht wurde, als nur noch Unrecht war und kein Recht. Für die Heringe und andere Meerestiere im Einflußbereich der Menschen ist eine Verbesserung der Rechtslage seither nicht eingetreten.

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