Samstag, 2. Februar 2019

Verborgene Tiefen

Krummes Holz

La marquise sortit à cinq heures -, bekanntlich wollte Paul Valery diesen Satz und ihm ähnliche auf bloße Mitteilung, wie er meint, bedachte Sätze nicht länger dulden in der Literatur. Gern will man ihm beipflichten, allerdings, wenn Leopold Bloom nicht am Bloomsday zu einer bestimmten Stunde das Haus verlassen hätte, wäre uns eins der nach allgemeiner Übereinstimmung bedeutendsten Prosawerke der Moderne vorenthalten worden. Ein einzelner Satz oder gar Halbsatz läßt sich kaum beurteilen, niemand kann sagen, welche geheimen Tiefen mit dem Aufbruch der Marquise um fünf Uhr womöglich verbunden waren. Die Gräfin trug sich schwarz. Valery, sofern er mit Fontane überhaupt vertraut war, hätte wohl gezögert, diesen Satz als Exempel zu nehmen. Dunkelheit hat immer einen Anklang von Tiefe, die ungewohnte reflexive Verbform verstärkt den Eindruck. Tatsächlich sehen wir die Gräfin in ihrer Witwentracht, die sie noch lange Jahre nach dem Tod ihres zu Lebzeiten wenig geliebten Mannes trägt. Sie habe, so Mme. Landau, damals in der Autobiographie Nabokows lesend, auf einer Parkbank in der Promenade des Cordeliers gesessen, und dort habe der Paul, nachdem er zweimal bereits an ihr vorübergegangen war, sie mit einer ans Extravagante grenzenden Höflichkeit auf diese ihre Lektüre hin angesprochen. Für Nabokow ist sein aristokratisches Elternhaus immer eminent wichtig geblieben, eine Vorliebe für Revolution und Bolschewismus hat er nicht entwickelt. Bei der Begegnung in Salins-les Bains geht es allerdings um den Geistesadel, um ein erkennbares Anspruchsniveau, das Bereyter ermutigt, Mme Landau anzusprechen. Der Dichter aber verfolgt unter der Hand still seinen artistischen Plan, wonach Nabokow in jeder der vier langen Erzählungen einmal in Erscheinung treten muß, sei es auch nur indirekt in der Form eines seiner Werke.

Więc, Leopold Blum sort de sa maison, und mit ihm wir verlassen die Welt des Adels. Burgess spricht im Hinblick auf Ulysses vom Numinosen des Gemeinplatzes, von der Heiligung des Gewöhnlichen. Jeder, der sich, je nach seinem Vermögen, dem Werk genähert hat, weiß oder spürt, was gemeint ist. Ein nicht unwesentlicher Teil der Heiligung des Gewöhnlichen spielt sich in Gasthäuser und Trinkanstalten ab, nicht anders ist es im Prosawerk Stachuras, der im Wodka einen unterhaltsamen Gesprächspartner sieht. Die unterschiedliche kulturelle Prägung der Whiskytrinker in der irischen Hauptstadt und der Wodkatrinker im ländlichen Polen ist durchaus greifbar. Bei Stachura nimmt die Heiligung des sehr Gewöhnlichen ekstatische Formen an, und dann wächst das Gewöhnliche aber auch wieder gleichsam aus eigener Kraft still über sich hinaus. Immer wieder sagt einer der Trinker: Co żyje, to rośnie – was lebt, wächst und gedeiht -, worauf ein anderer unfehlbar ergänzt: Ukośnie – krumm und schief. Ein wenig intelligentes Wortgeplänkel möchte man meinen, mit einem Ergebnis aber, zu dem Kant nur auf schwer zugänglichen transzendentalen Denkwegen gelangt ist: der Mensch ist, wie er es formuliert, ein krummes Holz.

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