Mittwoch, 16. Oktober 2019

Handwerk

Arbeit und Denken

Soll man den Schmied zu den Handwerkern zählen, ist er als Herr des Feuers und der Materie nicht zu gewaltig für dieses Wort? Ohnehin bekommt man ihn nicht zu Gesicht, das Essenfeuer ist ganz in sich zusammengesunken, und das Werkzeug, die schweren Hämmer, Zangen und Raspeln liegen und lehnen herrenlos überall herum. Nirgends rührt sich etwas. Das Wasser im Bottich, in den der Schmied sonst jeden Augenblick mit dem glühenden Eisen, daß es zischt, hineinfährt, ist so still und glänzte von dem schwachen Widerschein, der vom offenen Tor auf seine Oberfläche fiel, so tiefschwarzdunkel, als hätte noch nie jemand es angerührt und als sei ihm bestimmt, in solcher Unversehrtheit bewahrt zu bleiben.

Den Uhrmacher Ebentheuer erleben wir bei der Kundenbedienung, die immer ins linke Auge geklemmte Lupe gibt aber zu erkennen, wonach ihm wirklich der Sinn steht. Ist er bei der Reparatur der Uhren ganz allein auf die Arbeit konzentriert, oder gehen ihm auch andere Dinge durch den Sinn? Den Bader Köpf bekommen wir so wenig zu Gesicht wie den Schmied. Der Rasiersessel stand leer. Das Rasiermesser lag, aufgeklappt, auf der marmorierten Platte des Waschtischs. Das Handwerk kann nur am Kunden und zumeist begleitet von seichten Gesprächen ausgeübt werden, kompliziertere Gedankengänge sind ausgeschlossen. Anders schaut es aus beim Mayrbeck. Alljährlich zu Allerheiligen und Allerseelen hält er für jeden Mann, jede Frau und ein jedes Kind einen Seelenwecken parat. Aus Weißbrotteig waren in einsamer Nacht schon diese Seelenwecken gebacken, so klein, daß man sie leicht in einer geschlossenen Hand verbergen konnte. Jeweils vier davon kamen auf eine Reihe. Ob das bloßes Geschäftsgebaren ist oder ob tiefere Gedanken dahinter stehen, läßt sich nicht feststellen. Wenn jeder Dorfbewohner, ob er will oder nicht, einen Wecken bekommt, kann man allerdings vermuten, daß das Gebäck aus christlichen Überlegungen heraus gratis verteilt wird, das winzige Format verhindert zugleich jeden Überschwank. Klar und deutlich ist die philosophische Begleitmusik bei den Schustern zu hören. Die Arbeit geht ihnen längst wie im Traum von der Hand, die Gedanken schweifen. Bereyter verbringt seine freie Zeit mit Vorliebe in der Gesellschaft des Schumachers Colo, der ein von atheistischen Anschauungen geprägter Philosoph gewesen ist. Ifan, bei dem der jugendliche Austerlitz jede freie in der Werkstatt gesessen war, ist der mythischen Ausrichtung des Landes Cymru entsprechend neben seiner Handwerkstätigkeit ein Geisterseher und ausgewiesener Philosoph des Totenreiches gewesen, sozusagen an der Schwelle noch, an der sich seinerzeit in Griechenland die Philosophie vom Mythos gelöst hat. Die Voraussetzungen für eine philosophische Entwicklung dürften bei einem Schneider traditioneller Art ähnlich günstig sein wie bei den Schuhmachern. Austerlitz das Kind beobachtet von der Fensterbank in Veras Wohnung aus im niedrigen Haus gegenüber den buckligen Schneider Moravec, wie er den abgewetzten Saum einer Jacke ausbesserte, in einer Knopfschachtel kramt oder ein Steppfutter einnäht in einem Paletot. Schließlich legt der Schneider Nadel und Faden beiseite und breitet auf dem Arbeitstisch ein doppeltes Zeitungsblatt aus und darauf sein Nachtessen. Einen unmittelbaren Einblick in die Gedankenwelt des Moravec erhalten wir nicht. Das Behagen aber, mit dem er die Stulle verzehrt und dazu einen tiefen Zug aus dem Bierglas tut, läßt eine epikureisch-hedonistische Ausrichtung vermuten, wie sie in der Gegenwartsphilosophie etwa von Michel Onfray vertreten wird.

Tempi passati, vergangene Träume, man muß unterstellen, daß der Fortschritt in Wissenschaft und Technik längst alle Philosophie aus dem Handwerk vertrieben hat.

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