Montag, 23. Mai 2022

Uferstreifen

Radikalisier Hintergrund


Ein Uferstreifen, das letzte für Menschen bewohnbare Gebiet der Welt, die Überreste eines wandernden Volkes, das sich hier notgedrungen am äußersten Rand der Erde niedergelassen hat. Die Anzahl der Bewohner des Uferstreifens bleibt in etwa gleich. Während einige tot oder auch lebendig verschwinden, treffen derzeit immer noch Vereinzelte ein, die vom unbewohnbar gewordenen Gebirge, das sich hinter dem Uferstreifen türmt, hinabgestiegen sind, und beziehen die verlassenen Zelte. Man verdöst die Tage und durchwacht die Nächte. Nur selten kommt es vor, daß die einen Kontakt haben mit den anderen oder auch nur mit dem Nebenmann. Obgleich sie allesamt unverwandt nach Osten blicken und am Horizont die Abenddämmerung und das Morgengrauen aufsteigen sehen, und obgleich sie dabei bewegt werden von denselben unbegreiflichen Gefühlen, ist ein jeder von ihnen doch auf sich ganz allein gestellt und hat Verlaß nur auf sich selber. Wenn diese Männer – Frauen sind kaum zu entdecken – tage- und nächtelang am Meer sitzen, so nicht einmal, um die Fische, ihre einzige noch denkbare Nahrung, nicht zu versäumen, sondern sie wollen sich einfach aufhalten an einem Ort, an dem sie die ehemalige Welt hinter sich haben und voraus nichts als Leere. Ohnehin sind Fische vom Ufer aus kaum noch zu fangen. Die Berufsfischer, die hinausfahren könnten, sind längst ausgestorben. Hie und da stößt man auf einen Schiffsfriedhof, wo die herrenlosen Kähne zerfallen und die Drahtseilwinden in der Salzluft verrosten. Das sind die letzten Menschen überhaupt mit ihren Zelten, und das nur für eine begrenzte Zeit, auf dem sandigen Uferstreifen wächst nichts, wovon sollen sie leben.

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