Donnerstag, 17. November 2022

Vernichtung der Welt

Mr. Doom

Das Leben, das nach uns kommt, entsteht jetzt aus dem Getöse der technisierten Welt und wird uns langsam zugrunde richten, Endgültigkeit ist damit nicht angesagt, nur das Ende einer Phase, der eine andere Phase vorausgegangen ist und eine weitere folgen wird: So wie wir das langsam zugrunde richten, was da war lange vor uns. Cioran ist um einiges entschlossener, Halbleiter, Auto, Flugzeug werden die letzte Reste des Paradieses aus der Welt schaffen, oder, mit der Ausdrucksweise der Navajos, man kann sich nicht mehr mit Schönheit umgeben. Das Paradies muß es ja nicht gerade sein, wird man einschränken, die Führbarkeit eines weiterhin ordentlichen Lebens reicht. Naturgemäß aber sind die drei genannten Merkmale, Halbleiter, Auto und Flugzeug nur eine willkürliche Auswahl, an anderer Stelle urteilt Cioran umfassend, die Menschheit hätte nie über die Ebene der Hirtenvölker hinauswachsen dürfen, da bleibt dann nicht viel von der uns vertrauten Lebensweise. Auf anderem Weg nähert N. Roubini, wegen seiner wenig hoffnungsfrohen Einstellung auch Dr. Doom genannt, sich dem gleichen Thema. Roubini ist weder Dichter noch Philosoph, sondern Ökonom, er beläßt es nicht bei Ciorans drei Sündenmalen, sondern nennt unter der Bezeichnung Megathreats zehn Klippen, die den Absturz der Menschenwelt bewerkstelligen können. Cioran hätte ohne weiteres bestätigt, daß das Monetäre nicht über das Muschelgeld hätte hinauswachsen dürfen, man hätte nicht auf ihn gehört und ist, was Reichtum und Komfort der Menschheit anbelangt, beeindruckend vorangekommen. Geld ist der gemeinsame Mantel der menschlichen Erdbevölkerung, wenn auch längst nicht zum gleichen Wohl aller, und man schaut auch nur auf die Innenausstattung des Mantels, das Futter, das die Menschen wärmt, die Außenseite des Mantel ist längst verschmutzt und zerfasert, er müßte aufgebügelt, besser noch erneuert werden, letztlich aber ist der Zustand des Mantels nicht in der Gewalt der Menschheit. We did’nt have the resources to act, it cost too much, läßt Roubini mit feiner Ironie wissen, das Überleben zu sichern kommt schlicht zu teuer. Anders als die ursprüngliche Menschheit, wie Cioran sie im Sinn hat, kann die heutige Bevölkerung ohne den sie wärmenden Geldmantel nicht mehr überleben. Geld kann man nicht essen, soll ein kluger und gern zitierter Indianer gesagt haben, längst aber droht ohne Geld die umfassende Hungersnot. Wenn dieser Punkt erreicht ist, wird mancher Cioran mehr Spürsinn zuerkennen als zuvor. In Hillerman‘s Navajobüchern trifft man häufig auf alte, in der Tradition des Stammes lebende Indianer, Frauen und Männer, an denen das Geschick der Welt still vorübergeht, man möchte sie beneiden. Vielleicht, wenn der hintergangene Herr noch einmal eingreifen wollte, wie einst in Sodom und Gomorrha... Letztendlich, um mit Heidegger zu reden, kann uns wohl nur ein Gott noch helfen.

Farblos

Eine Ausnahme

Jean Pierre Wils macht ein weiteres Mal auf die kleinen (im übrigen nicht immer so kleinen Photographien, z.B. Ringe des Saturn doppelseitiges Photo Seite 78/79) im Text aufmerksam. Was an den Photographien auffalle, so Wils, sei ihre Unauffälligkeit, dem kann man vorbehaltlos zustimmen. Nach kurzer Ratlosigkeit hat man sich an die Bebilderung des Textes gewöhnt, nimmt sie kaum noch war, möchte sie aber auf keinen Fall missen. Naturgemäß haben die Photos unter anderem die Aufgabe, die oft seitenlang abschnittslose Prosa aufzulockern. Die Unauffälligkeit ist auch der bewußt grauen, kunstlosen Häßlichkeit der Bilder zu verdanken, Text und Illustration, die gleiche Druckerschwärze, man schluckt die Bilder mit großer Selbstverständlichkeit. Eine Ausnahme möchte man sich vielleicht wünschen, ein Farbphoto von Giottos klagenden Engel, einen kleinen Bildausschnitt nur, der die wenigen hellgrünen Spuren der Veroneser Erde auf den weißen Engelsflügeln zu erkennen gibt. Man könnte sich die Reise nach Padua ersparen und die Begegnung mit dem vor dem Bild sich drängenden Kulturvolk.

Sonntag, 13. November 2022

Feinschmecker

 Kunst und Nahrung

Er geht in fremden Städten auf der Suche nach einem angemessenen Restaurant stundenlang durch die Straßen und Gassen und gerät schließlich wahllos irgendwo hinein und  verzehrt dort in trostloser Umgebung ein ihm auf keine Weise zusagendes Gericht. Ein wenig hat man den Verdacht, daß es ihm so recht ist, schadenfroh über sich selbst, Dichter sind keine Gourmets. Der Verdacht verstärkt sich, als ihm im Viktoriahotel zu Lowestoft ein gewiß seit Jahren schon in der Kühltruhe vergrabener Fisch serviert wird, an dessen paniertem, vom Grill stellenweise versengten Panzer er die Zinken seiner Gabel verbog, der Spaß ist offensichtlich. Nicht zu übersehen: er war beim Maler Aurach in die Lehre gegangen, Aurach, der sein Mittagsmahl täglich im Wadi Halfa und nur dort zu sich nahm, grauenvolle, halb englische und halb afrikanische Gerichte, die der Koch mit einer apathischen Eleganz sondergleichen zubereitet hatte. Künstler sind keine Gourmets, das war das Lehrstück, das er in Aurachs Begleitung erlernt hatte. Im Polen der sechziger und siebziger Jahre war Feinschmeckerei nicht recht zu erkennen, die Mittel, die den Gourmet ausmachen, fehlten weitgehend. Für die lange Wegstrecke nach Hopli sorgt Pradera, seinem Autor Stachura augenscheinlich verwandt, für angemessen Proviant, Brot, Speck, Zwiebeln, Heringe in Tomatensoße, ein Päckchen Tee und verschiedene ander Dinge. In Umrissen ist das die gleichbleibende Verpflegung beim Holzfällen in den kommenden Wochen. Am Sonntag aber sucht Pradera für ein anspruchsvolleres Mahl die Gastwirtschaft Hoplanka in Hopli auf. Er bestellt Eisbein in Fleischbrühe, eine doppelte Portion Kartoffeln, eine doppelte Portion Kraut, Senf und zwei gesäuerte Gurken. Eine derbe, nachhaltig sättigende polnische Mahlzeit, die sich von der verfeinerten französischen oder italienischen Eßkultur spürbar absetzt.