Wasser, Luft, Erde
Besy, wysschedsi is tscheloweka, woschli w swinjej; i brosilos stado s krutisny w osero i potonulo.
Besy, wysschedsi is tscheloweka, woschli w swinjej; i brosilos stado s krutisny w osero i potonulo.
Seid fruchtbar und mehrt euch und Machet Euch die Erde untertan – diese letztlich fatalen göttlichen Aufforderungen – so harmlos sie zur Zeit menschenleerer Landschaften klingen mochten - sind in den Augen Ciorans nur damit erklären, daß nicht ein nur schlechter (mauvais), sondern ein unumwunden bösartiger (malin) Demiurg, Satan also, an dieser Stelle des Wortes Gottes sich bemächtigt hat. Sebald hat im Gespräch bestätigt, daß es für die Annahme einer Sonderstellung des Menschen unter den übrigen Geschöpfen der Erde keine rationale Grundlage gebe. Populären Ausprägungen des Humanismus, die kaum hinausgehen über eine Selbstvergötterung des Menschen, neigt er nicht zu. Im Dritten Teil der Ringe des Saturn, in denen die Anteile auch eines denkbar anspruchsvollen Humanismus, gemessen an den Ausgewanderten, zugunsten einer kosmologisch-naturgeschichtlichen Sichtweise noch einmal deutlich zurücktreten, betrachtet Selysses, neben anderem, die Tiere des Wassers, der Luft und der Erde.
Der Dritte Teil eröffnet in einer Endzeitszenerie, Überreste eines wandernden Volkes lagern am äußersten Rande der Erde, vor sich nichts mehr als Leere; Überlebende eines Kampfes, der zunächst der des Menschen mit der Übermacht der Natur zu sein schien, dessen Fronten inzwischen aber ganz anders verlaufen. Die Entwicklung wird exemplarisch am Schicksal des Herings demonstriert. Nach einer Berechnung Buffons würde die Menge der Heringe, könnten sie sich nur ungestört vermehren, bald das zwanzigfache Volumen der Erde ausmachen, da konnte Fischerei nicht anders denn als Weltenpflege verstanden werden. Zur Schonung etwaiger zartfühlender Gemüter wurde zudem die Lehrmeinung entwickelt, die physiologische Organisation der Fische schütze sie vor der Empfindung der Angst und der Schmerzen. Hier aber meldet der Dichter offenen Zweifel an: In Wahrheit wissen wir nichts von den Gefühlen der Herings. Ob Angst und Schmerz oder nicht, die Zeiten furchterregenden Überflusses sind längst vorbei. Vom Ufer aus wird kaum noch etwas gefangen, auf hoher See geht die Fischerei zwar vorderhand weiter, wenngleich die Ausbeute immer geringer wird und die gelandeten Fänge oft nur für Fischmehl zu brauchen sind. Den Tausenden von Tonnen schwerer Metalle und anderer toxischer Substanzen ist auch die erstaunliche Lebenskraft des Herings langfristig nicht gewachsen. Erstaunlich ist sie allerdings, hatte doch ein gewisser Neucrantz in Stralsund mit großer Genauigkeit die letzten Zuckungen eines vor einer Stunde und sieben Minuten aus dem Wasser geholten Herings registriert, ein Franzose namens Noel Marinière hatte eines Tages gar staunend wahrgenommen, wie ein paar Heringe, die schon zwei bis drei Stunden auf dem Trockenen lagen, sich noch rührten und hatte, um die Lebensfähigkeit dieser Fische genauer zu erkunden, ihnen die Flossen abgeschnitten, eine von unserem Wissensdrang inspirierte Prozedur, die auf geradem Wege das Gemälde von der anatomischen Vorlesung des Dr. Nicolaas Tulp aus dem Ersten Teil in Erinnerung ruft, das, so der Dichter, in der Pracht und Schönheit der Rembrandtschen Malkunst das archaische Ritual der Zergliederung und die Peinigung des Fleisches bis über den Tod hinaus verwahrt.
Für die augenfällige Schönheit des Herings hat kaum jemand Sinn. Über den Rücken hin ist er bläulich-grün gefärbt, gegen das Licht gehalten, scheinen die hinteren Partien auf in einem Dunkelgrün von solcher Schönheit, wie man sie sonst nirgendwo sieht. Der Umstand, daß das Leuchten der Fische erst Tage nach ihrem Tod seinen Höhepunkt erreicht, hat sogleich anstelle der ästhetischen Betrachtung den Nutzen- und Verwertungsgedanken auf den Plan gerufen und die Hoffnung, aus der von den toten Heringen ausgeschwitzten luminösen Substanz möge sich eine Formel ableiten lassen zur Erzeugung einer organischen, sich fortwährend generierenden Lichtessenz. Das Scheitern dieses exzentrischen Projekts, so bilanziert der Dichter, war insgesamt aber ein kaum nennenswerter Rückschlag in der unaufhaltsamen Verdrängung der Finsternis: eine Feststellung ganz im Ton von Becketts knapper Zusammenfassung des Aufklärungsverlaufes: C'est de cette facon que l'homme se distingue des primates et va, de découverte en découverte, toujours plus haut, vers la lumière.
Frühe eigene Erfahrungen mit dem Hering verdankt Selysses einem im Jahre 1936 gedrehten Schulfilm. Man hört den scharrenden Kommentarton der Hitlerzeit, wenn es heißt, Güterwagen der Eisenbahn nähmen schließlich den ruhelosen Wanderer des Meeres, Clupea Ahasverus, auf, um ihn an die Stätten zu bringen, an denen sich sein Schicksal auf Erden endgültig erfüllen wird. Die Anklänge sind nicht nur dem deutlich, dem die Verarbeitung des Eisenbahnmotivs in Austerlitz gegenwärtig ist. Dabei ist die Heringsvernichtung nicht als Metapher des Holocausts zu lesen, und das eine wird auch nicht mit dem anderen verglichen, beides geht aber zurück auf eine grundlegend schlecht eingerichtete Welt, die sich aus der Sicht des Dichters auch nicht grundlegend zum Besseren hin verändern läßt, es sei denn für flüchtige Augenblicke in der Kunst.
Im folgenden Abschnitt tritt das Thema der Judenvernichtung, wenn auch nur kurz, an die Erzähloberfläche, Le Strange hatte in dem Panzerabwehrregiment gedient, das am 14. April 1945 das Lager von Bergen Belsen befreite. Seine spätere Lebensgestaltung ist, ohne das das ausdrücklich gesagt würde, von diesem Erleben her bestimmt. Er verabschiedet sich aus der am Logos, sowohl im Sinne von Sprache als auch im Sinne von Rationalität, orientierten Welt. Einzig die Haushälterin Florence Barnes teilt seine Einsiedlerexistenz, kocht die Mahlzeiten und nimmt sie gemeinsam mit ihm ein unter der Auflage absoluten Stillschweigens. Über den Gartenzaun hinweg erleben wir Le Strange in wenigen exzentrischen Augenblicken mal in einem kanarienfarbenen Gehrock und mal in einer Art Trauermantel aus verschossenem veilchenfarbenen Taft. Umgeben ist er immer von den Tieren des Himmels, die teils am Boden um ihn herumlaufen, teils in der Luft umfliegen, Perlhühner, Fasanen, Tauben, Wachteln und die verschiedensten Garten und Singvögel. Gleicht er so im Erscheinungsbild dem Heiligen Franz, so gräbt er später eine Erdhöhle aus, in der er tage- und nächtelang gesessen ist gleich dem Heiligen Hieronymus in der Wüste. Es ist aber Selysses selbst, der im wiederum folgenden Erzählabschnitt auf die Tiere der Erde trifft.
Hinter einem niedrigen Elektrozaun lagerte eine an die hundert Stück zählende Schweineherde, und ich näherte mich einem der schweren, bewegungslos schlafenden Tiere. Ich fuhr ihm mit der Hand über den staubbedeckten Rücken, strich ihm über den Rüssel und das Gesicht und kraulte ihm die Kuhle hinter dem Ohr bis es aufseufzte wie ein von endlosen Leiden geplagter Mensch – ein Augenblick innigen Einverständnis zwischen zwei Erdkreaturen unterschiedlicher Gattung. Wenn es allerdings im Fall von Le Strange so aussehen mochte, als fände eine Rückkehr aus der logozentrischen Moderne in die gottgeleitete Welt statt, so zeigt sich, daß diese nicht weniger mit Mängeln behaftet ist. Selysses erinnert all das an die Geschichte, die der heilige Evangelist aus der Gegend der Gadarener erzählt, als der Herr den bösen Geistern befiehlt, herauszufahren aus dem Tobsüchtigen und hinein in die Säue, die, zweitausend an der Zahl, sich von dem Abhang hinabstürzen und ersaufen in der Flut. Bedeutet das nicht, so fragt sich Selysses, daß unserem Herrn bei der Heilung des Gadareners ein böser Kunstfehler unterlaufen ist. Ähnliche Gedanken waren Dostojewski wohl nicht in den Sinn gekommen, als er die Geschichte von den Schweinen seinem Roman über die Dämonen vorangestellt hat, sie führen vielmehr zurück zu den eingangs vorgestellten Überlegungen Ciorans zu einer schlecht, wenn nicht gar bösartige entworfenen Welt. Selysses läßt allerdings die Tür auf für eine Schonung der Gestalt Jesu, indem er eine vom Evangelisten nur erfundene Parabel nicht ausschließt, die nur von seinem, des Evangelisten, und von unserem kranken Menschenverstand zeugen würde.
Der Dritte Teil eröffnet in einer Endzeitszenerie, Überreste eines wandernden Volkes lagern am äußersten Rande der Erde, vor sich nichts mehr als Leere; Überlebende eines Kampfes, der zunächst der des Menschen mit der Übermacht der Natur zu sein schien, dessen Fronten inzwischen aber ganz anders verlaufen. Die Entwicklung wird exemplarisch am Schicksal des Herings demonstriert. Nach einer Berechnung Buffons würde die Menge der Heringe, könnten sie sich nur ungestört vermehren, bald das zwanzigfache Volumen der Erde ausmachen, da konnte Fischerei nicht anders denn als Weltenpflege verstanden werden. Zur Schonung etwaiger zartfühlender Gemüter wurde zudem die Lehrmeinung entwickelt, die physiologische Organisation der Fische schütze sie vor der Empfindung der Angst und der Schmerzen. Hier aber meldet der Dichter offenen Zweifel an: In Wahrheit wissen wir nichts von den Gefühlen der Herings. Ob Angst und Schmerz oder nicht, die Zeiten furchterregenden Überflusses sind längst vorbei. Vom Ufer aus wird kaum noch etwas gefangen, auf hoher See geht die Fischerei zwar vorderhand weiter, wenngleich die Ausbeute immer geringer wird und die gelandeten Fänge oft nur für Fischmehl zu brauchen sind. Den Tausenden von Tonnen schwerer Metalle und anderer toxischer Substanzen ist auch die erstaunliche Lebenskraft des Herings langfristig nicht gewachsen. Erstaunlich ist sie allerdings, hatte doch ein gewisser Neucrantz in Stralsund mit großer Genauigkeit die letzten Zuckungen eines vor einer Stunde und sieben Minuten aus dem Wasser geholten Herings registriert, ein Franzose namens Noel Marinière hatte eines Tages gar staunend wahrgenommen, wie ein paar Heringe, die schon zwei bis drei Stunden auf dem Trockenen lagen, sich noch rührten und hatte, um die Lebensfähigkeit dieser Fische genauer zu erkunden, ihnen die Flossen abgeschnitten, eine von unserem Wissensdrang inspirierte Prozedur, die auf geradem Wege das Gemälde von der anatomischen Vorlesung des Dr. Nicolaas Tulp aus dem Ersten Teil in Erinnerung ruft, das, so der Dichter, in der Pracht und Schönheit der Rembrandtschen Malkunst das archaische Ritual der Zergliederung und die Peinigung des Fleisches bis über den Tod hinaus verwahrt.
Für die augenfällige Schönheit des Herings hat kaum jemand Sinn. Über den Rücken hin ist er bläulich-grün gefärbt, gegen das Licht gehalten, scheinen die hinteren Partien auf in einem Dunkelgrün von solcher Schönheit, wie man sie sonst nirgendwo sieht. Der Umstand, daß das Leuchten der Fische erst Tage nach ihrem Tod seinen Höhepunkt erreicht, hat sogleich anstelle der ästhetischen Betrachtung den Nutzen- und Verwertungsgedanken auf den Plan gerufen und die Hoffnung, aus der von den toten Heringen ausgeschwitzten luminösen Substanz möge sich eine Formel ableiten lassen zur Erzeugung einer organischen, sich fortwährend generierenden Lichtessenz. Das Scheitern dieses exzentrischen Projekts, so bilanziert der Dichter, war insgesamt aber ein kaum nennenswerter Rückschlag in der unaufhaltsamen Verdrängung der Finsternis: eine Feststellung ganz im Ton von Becketts knapper Zusammenfassung des Aufklärungsverlaufes: C'est de cette facon que l'homme se distingue des primates et va, de découverte en découverte, toujours plus haut, vers la lumière.
Frühe eigene Erfahrungen mit dem Hering verdankt Selysses einem im Jahre 1936 gedrehten Schulfilm. Man hört den scharrenden Kommentarton der Hitlerzeit, wenn es heißt, Güterwagen der Eisenbahn nähmen schließlich den ruhelosen Wanderer des Meeres, Clupea Ahasverus, auf, um ihn an die Stätten zu bringen, an denen sich sein Schicksal auf Erden endgültig erfüllen wird. Die Anklänge sind nicht nur dem deutlich, dem die Verarbeitung des Eisenbahnmotivs in Austerlitz gegenwärtig ist. Dabei ist die Heringsvernichtung nicht als Metapher des Holocausts zu lesen, und das eine wird auch nicht mit dem anderen verglichen, beides geht aber zurück auf eine grundlegend schlecht eingerichtete Welt, die sich aus der Sicht des Dichters auch nicht grundlegend zum Besseren hin verändern läßt, es sei denn für flüchtige Augenblicke in der Kunst.
Im folgenden Abschnitt tritt das Thema der Judenvernichtung, wenn auch nur kurz, an die Erzähloberfläche, Le Strange hatte in dem Panzerabwehrregiment gedient, das am 14. April 1945 das Lager von Bergen Belsen befreite. Seine spätere Lebensgestaltung ist, ohne das das ausdrücklich gesagt würde, von diesem Erleben her bestimmt. Er verabschiedet sich aus der am Logos, sowohl im Sinne von Sprache als auch im Sinne von Rationalität, orientierten Welt. Einzig die Haushälterin Florence Barnes teilt seine Einsiedlerexistenz, kocht die Mahlzeiten und nimmt sie gemeinsam mit ihm ein unter der Auflage absoluten Stillschweigens. Über den Gartenzaun hinweg erleben wir Le Strange in wenigen exzentrischen Augenblicken mal in einem kanarienfarbenen Gehrock und mal in einer Art Trauermantel aus verschossenem veilchenfarbenen Taft. Umgeben ist er immer von den Tieren des Himmels, die teils am Boden um ihn herumlaufen, teils in der Luft umfliegen, Perlhühner, Fasanen, Tauben, Wachteln und die verschiedensten Garten und Singvögel. Gleicht er so im Erscheinungsbild dem Heiligen Franz, so gräbt er später eine Erdhöhle aus, in der er tage- und nächtelang gesessen ist gleich dem Heiligen Hieronymus in der Wüste. Es ist aber Selysses selbst, der im wiederum folgenden Erzählabschnitt auf die Tiere der Erde trifft.
Hinter einem niedrigen Elektrozaun lagerte eine an die hundert Stück zählende Schweineherde, und ich näherte mich einem der schweren, bewegungslos schlafenden Tiere. Ich fuhr ihm mit der Hand über den staubbedeckten Rücken, strich ihm über den Rüssel und das Gesicht und kraulte ihm die Kuhle hinter dem Ohr bis es aufseufzte wie ein von endlosen Leiden geplagter Mensch – ein Augenblick innigen Einverständnis zwischen zwei Erdkreaturen unterschiedlicher Gattung. Wenn es allerdings im Fall von Le Strange so aussehen mochte, als fände eine Rückkehr aus der logozentrischen Moderne in die gottgeleitete Welt statt, so zeigt sich, daß diese nicht weniger mit Mängeln behaftet ist. Selysses erinnert all das an die Geschichte, die der heilige Evangelist aus der Gegend der Gadarener erzählt, als der Herr den bösen Geistern befiehlt, herauszufahren aus dem Tobsüchtigen und hinein in die Säue, die, zweitausend an der Zahl, sich von dem Abhang hinabstürzen und ersaufen in der Flut. Bedeutet das nicht, so fragt sich Selysses, daß unserem Herrn bei der Heilung des Gadareners ein böser Kunstfehler unterlaufen ist. Ähnliche Gedanken waren Dostojewski wohl nicht in den Sinn gekommen, als er die Geschichte von den Schweinen seinem Roman über die Dämonen vorangestellt hat, sie führen vielmehr zurück zu den eingangs vorgestellten Überlegungen Ciorans zu einer schlecht, wenn nicht gar bösartige entworfenen Welt. Selysses läßt allerdings die Tür auf für eine Schonung der Gestalt Jesu, indem er eine vom Evangelisten nur erfundene Parabel nicht ausschließt, die nur von seinem, des Evangelisten, und von unserem kranken Menschenverstand zeugen würde.
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