Freitag, 1. Juni 2012

Oraisons funèbres

Heimliche Trauung

Eingangs der Ringe des Saturn gedenkt Sebald zweier jüngst verstorbener Kollegen an der Universität von Ostengland und hebt sie damit, wie wir inzwischen wissen, auf eine höhere Stufe der Unsterblichkeit als sie die aus eigener Kraft hätten erreichen können. Das hat aber, da Unsterblichkeit im ernsten Sinne aus dem Leben der Menschen verschwunden ist, weiter keine Bedeutung. Es bleiben zwei Totenreden, die sich nicht nur entschieden abheben von der auf den Metzgermeister Michael Schultheis, von dem es hieß, er habe sich großer Beliebtheit erfreut, sei dem Raucherclub Blaue Wolke und der Reservistenkameradschaft eng verbunden gewesen und habe seine Freizeit im wesentlichen seinem treuen Schäferhund Prinz gewidmet, - ganz andere Totenreden sind es, die auch Jacques-Bénigne Bossuets kunstreiche Oraisons funèbres noch in den Schatten stellen.
Es geht um Michael Parkinson und Janine Rosalind Dakyns. Beide litten im Leben an einer, wenn auch vergleichsweise gelinden Form der Monomanie Bernhardscher von einer Studie besessener Geistesmenschen. Im Falle Parkinsons ist das Studienobjekt der Welschschweizer Autor Ramuz, bei Janine Dakyns ist es Flaubert. Die monomane Ausrichtung ist die Grundlage ihrer Absonderlichkeit und Beschlossenheit, die es zu feiern gilt. Auch in der Sommervakanz machte Parkinson regelmäßig lange, mit seinen Ramuzstudien in Verbindung stehende Reisen zu Fuß durch das Wallis und das Waadtland. Mehr als alles andere aber zeichnete ihn aus eine Bedürfnislosigkeit, von der manche behaupteten, daß sie ans Exzentrische grenzte. Ganz und gar unberührt gehrt er durch den mit großen Namen wie Freiheit und Persönlichkeitsentfaltung ausschilderten Bezirk der Warenwelt. In einer Zeit, wo die meisten Leute zu ihrer Selbsterhaltung in einem fort einkaufen müssen, ist er praktisch überhaupt nie zum Einkaufen gegangen. Dem Dichter erscheint er als einer der unschuldigsten Menschen, die ihm jemals begegnet sind.
Mit Michael Parkinson tauscht sich Selysses nicht aus über dessen Studienobjekt Ramuz, dem Verfasser dunkler Romane aus der Gebirgswelt, wohl aber mit Janine Dakyns über Flaubert. Aus der Tausende von Seiten umfassenden Korrespondenz Flauberts hat sie bei den verschiedensten Gelegenheiten lange Passagen zitiert, wobei sie oft in Zustände einer fast besorgniserregenden Begeisterung geriet. Ihre Forschungen über die Tausende von Seiten hatten in ihrem Büro ihrerseits zu einer wundersamen Papiervermehrung geführt, und im Verlaufe der war eine richtige Papierlandschaft mit Bergen und Tälern entstanden, die Sebald wiederum zu einer mit dem schönsten Lächeln niedergeschriebenen Seite veranlaßt hat. Es ist das Lächeln der geteilten conditio humana, ein Lächeln, das immer die Absonderlichkeit des Einzelnen zur Voraussetzung hat, fast schon seine Vergrabenheit, so wie sich der absonderlichste Heilige in Sebalds Welt, der Major Le Strange, auf dem Zenith seiner Laufbahn eingräbt in eine Höhle, in der er dann tage- und nächtelang gesessen ist gleich dem heiligen Hieronymus in der Wüste. Gegenüber uniformierten Menschengruppen wie den Touristen oder den Goldgräbern in der City in ihren nachtblauen Anzügen, gestreiften Hemdbrüsten und grellfarbenen Krawatten, mit ihrem engen Beieinanderstehen, ihrem halb geselliges, halb aggressiven Gehabe, dem Freigeben der Gurgel beim Leeren der Gläser, - bleibt Selysses schmallippig und ohne Gemeinschaftsgefühl, selbst wenn sie, wie das Heer von Touristen hingestreckt von der Pestkrankheit auf dem nackten Steinboden liegen, erkennbar dem Tode geweiht.

Ein durchaus heiteres Begräbnis also, vor allem auch wenn man sich vorstellt, daß der Engel, der, wie auf jedem anderen Friedhof auch, aufgestellt wird, als derjenige der Dürerschen Melancholie, zunächst zwar Janine Dakyns zugedacht ist, dann aber doch beiden Toten. Selysses hat sich wiederholt als Freund heimlicher Trauungen bewiesen, in eigener Angelegenheit bereits in W. mit dem Fräulein Rauch, später dann in Limone mit Luciana Michelotti, und auch Florence Barnes und dem Major hat er seinen Segen erteilt. Trauung hat den Klang des Vertrauens, die furchtbaren Separation der Geschlechter ließe sich aufheben, und sei es im Reich der Toten.

Sebald ist Herr in seinem eigenen Buch und er nimmt sich die Freiheit, zwei ihm teuren Verstorbenen eingangs der Ringe des Saturn ein Denkmal zu setzen. Die Totenreden sind aber keineswegs unverbunden mit dem Textganzen. Janine Dakyns findet über die von ihre erkannte Bedeutung des Staubs Anschluß an das Staubmotiv, und Parkinson erweitert mit seiner Bedürfnislosigkeit die Gilde wittgensteinesker Gestalten. Mit seiner Unschuld setzt er den Kontrapunkt in einem Buch über die unaufhebbare Schuld der Menschen untereinander und vor der Welt. Unschuld wird nur sichtbar, wo Schuld ist, und umgekehrt gilt das gleiche. 

Keine Kommentare: