Freitag, 23. Mai 2014

Sa'Dwrn ♄

Capriccio der Schutzpatrone

Der verbreitet schlechte Ruf des Saturn ist nicht gerechtfertigt, handelt es sich bei ihm doch um den Herrn des Rückzugs und des Schweigens, der die Voraussetzungen für innere Sammlung schafft. Sein Archetyp ist der Einsiedler. Im Körper des Menschen vertritt er das stabile Prinzip: die Knochen, Knochenmark, Kalkhaushalt, die Zähne und die Faust (dwrn) gelten als Bereiche seiner Zuständigkeit. Der Saturntag ist der Samstag (dydd Sadwrn), ihm zugeordnete Edelsteine sind der Saphir, der Onyx sowie die schwarze Perle. Dies entspricht auch den ihm zugewiesenen düsteren Farben Schwarz, Dunkelbraun, Dunkelblau und Dunkelgrau sowie das ihm zugewiesene Metall, das Blei. Als typisch saturnische Menschen gelten die Ahnen und die Mönche. - Bei dieser Einordnung wundert es nicht, wenn der Dichter neben San Giorgio und Sand Sebolt auch Sa'Dwrn* als seinen Schutzpatron benennt, auch wenn er wohl eher aufgezwungen und jedenfalls von nicht ungefährlicher Wesensart ist.
Sein Ungestüm macht sich gleich bei der Geburt des Autors bemerkbar. Als er zum Himmelsfahrtstag auf die Welt kam, zog gerade die Flurumgangsprozession unter den Klängen der Feuerwehrkapelle am Haus vorbei in das blühende Maifeld hinaus. Die Mutter nahm dies zunächst für ein gutes Zeichen, nicht ahnend, daß der kalte Planet Saturn die Stunde regierte und daß über den Bergen schon das Unwetter stand, das bald darauf die Bittgänger zersprengte und einen der vier Baldachinträger erschlug. Es scheint, als seien nicht nur die Bittgänger zersprengt und der Träger des Baldachins erschlagen, sondern rechtzeitig dem ganzen katholischen Spuk das Ende bereitet worden, sozusagen mit unheiliger Faust (dwrn: als Austerlitz das Walisische wie im Flug erlernte, haben auch sein Dichter und dessen Leser einige Worte dieser geheimnisvollen und schönen Sprache aufgeschnappt). So klärt sich das Geheimnis der vielen versprengten und ramponierten Heiligen, die durch das Werk taumeln. Am schlimmsten hat die Wucht des Schlages den heiligen Franz getroffen, der seither, ohne daß er etwas Böses getan hätte, in einem schwankenden Schilfbeet mit dem Kopf nach unten im Wasser treibt. Die Aufhebung des katholischen Spuks - Bereyter spricht parallel dazu von katholischer Salbaderei - wird aber nicht als Befreiung oder Wendung zum Besseren erlebt. Giottos Engel haben keinen Anlaß, ihre seit siebenhundert Jahren andauernde stumme Klage zu beenden. Die Beweinung Christi läßt sich nicht durch die Prosektur des Aris Kindt ersetzen und ebensowenig ist das mit dem Sturz der Heiligen wieder freigelegte karge Geklapper der Zahlen-, Sternen- und Koinzidenzalchimie, das Spiel mit der Zahl Dreizehn &c., ein befriedigender Ersatz für die meisterliche Sicherheit, mit der Tiepolo auszumalen vermochte, was über unseren Köpfen geschieht. San Giorgio, der frühzeitig schon aus Grünewalds mittelalterlichem Heiligentableau ausgestiegen war, konnte dem Massaker der bayerischen Flurumgangsprozession entkommen. Selysses immer ein treuer Beistand, begegnet er uns in seiner herzbewegenden Weltlichkeit in den verschiedensten profanen Positionen, seine bisher letzte Erscheinung ist die des Hochseilartisten Giorgio Santini.
Für die Ringe des Saturn, Modrwyau Sadwrn, war ursprünglich der Titel Unter dem Hundsstern vorgesehen. Tatsächlich ist der Beginn des Buches verwirrend für astrologisch nicht Versierte. Genasführt vom Titel halten sie für einen Augenblick den kalten Saturn für den Hundsstern, in Wahrheit ist es naturgemäß der heiße Sirius. Hier tritt nun Sand Sebolt, der dritte Schutzpatron und zweite christliche Gnadenheilige (nawddsant**) des Dichters, vermittelnd auf den Plan und lüftet das Geheimnis der Verwandlung von Eiseskälte in wohlige Wärme, indem er zu Regensburg im Herd eines ums Holz geizenden Wagners ein Feuer aus Eiszapfen entfacht und so die gefrorene Lebenssubstanz in Flammen versetzt. Aufgrund der Wandlungskraft des heiligen Sebaldus kann auch ein erkaltetes Herz noch einmal hell auflodern. Es zeigt sich, wer den heidnischen Sa'Dwrn zum Schutzpatron hat, braucht zum Ausgleich nicht weniger als zwei christliche Gnadenheilige.

*   Nicht zu verwechseln mit Sant Sadwrn, einem legendären keltischen Heiligen aus dem 5. Jhdt.
** nawdd: eine häufig auftretende Vokabel in der mittelalterlichen kymrischen Dichtung. Zwei Ritter gallopieren siegesgewiß aufeinander zu, einer muß gleichwohl in den Staub und erbittet als Unterlegener nawdd, ins Englische meistens mit quarter übersetzt. Peredurs Weg säumen unzählige Gnadengesuche, die der nominell christliche Ritter häufig, aber längst nicht in jedem Fall berücksichtigt: Ac fe laddodd Peredur ef, und Peredur erschlug ihn, heißt es oft genug. A theithiodd Peredur yn ei flaen, und Peredur ritt seines Wegs.

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