Samstag, 14. Juni 2014

Gwalchmai

Legato

King Arthur did not understand this coarse anglish language,
just so many grunts and groans, but only melodious Welsh
and the tongue of God, which was Latin.



Peredur fab Efrawg, Titelheld einer der drei Romanzen des Mabinogion, Parzival in anderen Fassungen der Artussage, hat es am Hof des Königs zu tun einerseits mit Cei, der ihm, ohne daß er seinerseits etwas Böses getan hätte, übelwill, und andererseits mit dem ihm wohlgesonnenen Gwalchmai. Gegen Ende der Erzählung zieht Gwalchmai auf seine eigene Âventiure, anturiaeth. Wie immer bei diesen Unternehmungen reitet er schon bald ein in die bevorzugte ritterliche Landschaftsformation, ein Flußtal, dyffryn afon, das ihn zu einem Schloß führt, auf dem es, wie später selbst noch bei Kafka, nicht mit rechten Dingen zugeht. In der Morgenfrühe bricht er wieder auf, und dann heißt es unvermittelt und zur nicht geringen Überraschung des Lesers: ac ni ddywed yr hanes fwy na hynny am Walchmai i'r cyfeiriad hwnnw - und das ist soweit das letzte, was diese Geschichte von Gwalchmai berichtet. Der Autor hält Wort, keine Silbe vorerst mehr über Gwalchmai, geschweige denn, daß wir vom Fort- und Ausgang seiner Queste, hynt, erfahren würden. Ein gerade erst begonnener und dann so abrupt abgebrochener Erzählbogen, das hinterläßt einen einigermaßen modernistischen Effekt. Ganz zum Schluß trifft Peredur Gwalchmai auf einem anderen Schloß wieder, wie der dort hingelangt ist und was er in der Zwischenzeit getrieben hat, erfahren wir nicht.

Der traditionelle Roman, nehmen wir Krieg und Frieden, legt Wert auf eine lückenlose, in ihrem Ablauf klare Geschichte. Jederzeit kann sich der Blick weg vom Fürsten Andrej hin zu Pierre Besuchow wenden und von dort zu den Rostows, der jeweils Verlassene und die Leser können aber vertrauensvoll abwarten, daß der Dichter zurückfindet zum ursprünglichen Ort und den dort ruhenden Faden wieder aufnimmt. Sebalds Bücher sind nicht nach diesem traditionellen Muster gebaut, bei ihm ersetzt das extreme Legato der Sätze das Legato der Handlung und verdeckt die Brüche in ihrem Verlaufs. In Austerlitz ergibt sich geradezu ein musikalisches Spiel zwischen dem ruhigen Fluß der Sätze und den unerwarteten, abrupten Begegnungen des Erzählers mit dem Titelhelden, gleichzeitig erstellt sich aus Austerlitz' Berichten ein gerundetes Bild seines Lebens. Das Buch mit mittelalterlicher Einschlag aber sind die Schwindel.Gefühle, werden wir doch Zeuge zweier Anturiaethau, der des Jägers Gracchus, dessen Barke von weit her aus der Tiefe der Zeit einfährt in den Hafen von Riva, und der des heiligen Georg, der schon nach kurzer Zeit als Heiliger wieder aussteigt aus dem geistlichen Tableau Grünewalds und, beginnend mit den Bildern Pisanellos, sein ritterliches Leben in wechselnder Gestalt wieder aufnimmt.
Die Ritter sind ihrer Natur nach ein einsame Reisende, zu Hauf auf des Königs Schloß Caer Llion ar Wysg fällt ihnen außer fortwährendem Tafeln gan bob math o fwydydd a diodydd nicht allzuviel ein, die Jagd, das Gwyddbwyllspiel, ab und zu ein Barde mit seiner Harfe, davon zehren sie, das ist alles. Das Wesen des Ritters erfüllt sich erst auf der einsamen Queste, und so ist er für jedweden Anlaß zum Aufbruch dankbar, bevorzugterweise naturgemäß, um einer Demoiselle en détresse beizuspringen. In den Schwindel.Gefühlen begeben sich drei Ritter oder Reisende neuzeitlicher Art auf eine Queste nach Oberitalien. Was sie suchen, ist unklar, aber das war mit dem Gral nicht anders, a quest from which a knight could not return but unsatisfied, owing to its peculiar nature. Stendhal folgt Napoleon, den man wohl nicht als den Artus, dessen Regentschaft als short reign of decency beschrieben wird, aber doch als den Uthr Bendragon seiner Zeit ansehen kann. Schon bald aber nimmt Stendhal Abschied vom bewaffneten Reiterwesen und begibt sich auf die zivile Suche nach der Frau, die er am meisten liebt, y wraig a garwn fwyaf, in seinem Fall ein langwieriges Unternehmen mit vielen letzten Endes vergeblichen Zugriffen. Schließlich verharrt er bei Mme Gherardi, die er sich als seinen Wünschen gemäß erfunden und ausgedacht hat. Bei Kafka und Selysses ist der Kampfesmut von Beginn an weniger ausgeprägt, auch wenn Selysses in Mailand eine Joute, ymladd, bravourös übersteht: Indem er sich auf dem Absatz drehend die Tasche von der Schulter schwang und in die beiden schwarzen Ritter hineinfahren ließ, gelang es ihm freizukommen und sich mit dem Rücken gegen einen der Pfeiler des Türbogens zu stellen, eine Position, in der er dann unbesiegbar war. Auch was die Amouren anbelangt, sind Kafka und Selysses weitaus weniger zupackend als die Ritter der Tafelrunde oder auch noch Stendhal. Kafka kapriziert sich darauf, der jungen Dame aus der Schweiz das Wesen der körperlosen Liebe zu erläutern, und Selysses beschränkt sich, was Luciana Michelotti oder die Winterkönigin anbelangt, ganz und gar auf das innere Erleben, das kannten die Ritter der herkömmlichen Art so nicht, auch wenn Arthur sie, einigen Fassungen der Legende zufolge, sie in diese Richtung drängte.

Gwalchmais abgebrochene Âventiure ist längst nicht die einzige Unebenheit in der Erzählung des Mabinogion. Peredurs ritterliche Unternehmungen folgen einander in ruppig zusammengesetzter und nicht immer widerspruchsfreien Reihe. Bei der Erstlektüre der Schwindel.Gefühle kann sich ein ähnliches Lesegefühl einstellen. Stendhals Italienabenteuer bricht zwar nicht unversehens ab, sondern wird ordnungsgemäß bis zum Ende in Form des Todes geführt, wenn im Anschluß daran dann aber Selysses all'estero auftritt, weiß man nicht, wie das zusammenhängen soll. Es werden wohl vier getrennte Erzählungen sein, so das erste Resümee, das sich aber nicht halten läßt, da All'estero und Ritorno in patria zueinander im direkten Verhältnis der Fortsetzung stehen. Als der dazwischen liegende Kafkaabschnitt beginnt, ist der Leser durch die diversen Gracchusverweise schon hinreichend eingestellt, ihn als integralen Teil der Gesamterzählung zu sehen, und je mehr er vertraut wird mit dem Buch, desto mehr weicht der Eindruck unverbundener Teile dem gegenteiligen Gefühl, eingesponnen und verstrickt zu werden, und schließlich bewegt er sich in einem Zauberwald, aus dem es kaum ein Entkommen gibt.

Als Georg, wie von Pisanello im Bilde festgehalten, aufbricht, im Dienste der Prinzessin von Trapezunt den Drachen zu erlegen, ist das spezifisch christliche, die Heiligsprechung rechtfertigende Element schwer zu entdecken, dagegen finden sich alle Merkmale eines Ritters der Tafelrunde vor der Zeit, der einer Damsel in distress beispringt. Nicht von ungefähr bestätigt der Dichter ihm etwas herzbewegend Weltliches. Unter welchem Namen Siôr Sant zweihundert Jahre später an dem riesigen, gut hundertundfünfzig Rittern Platz bietenden runden Tisch Platz genommen hat, ist nicht bekannt. Pisanellos Bild, das ihn bedeckt mit einem Strohhut zeigt, hält einen der kostbaren moments of decency in history fest, mythologische Lichtblicke im realen Dunkel, Momente des Ausgleichs der himmlischen und der üblicherweise zerstrittenen irdischen Kräfte, ganz offenbar ein Bild aus Arthurs Zeit. Mittelalterliche Helden, Georg und Gracchus, eine auf den ersten Blick sprunghafte und undurchsichtige Erzählabfolge, magische Elemente, Koinzidenzen und Zahlenalchimie, Zauberei: Vergleicht man Sebalds Erzählliteratur zum einen mit der klassischen Romanliteratur (Krieg und Frieden) und zum anderen mit der mittelalterlichen Erzählweise (Peredur fab Efrawg), so ist, angesichts der großen Distanz zur einen sowohl wie zur anderen Seite hin, gar nicht einmal leicht zu entscheiden, was ferner und was näher liegt. Eine verläßliche literaturwissenschaftliche Metrologie für Fragen dieser Art konnte bislang nicht entwickelt werden.  

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