Athrophie
Die Wirtschaft habe den Menschen zu dienen und nicht umgekehrt, so hört man, und Beifall, nicht zuletzt aus der Politik, ist sicher. Wie sollte es auch anders sein, ist das Wesen der Wirtschaft doch die materielle Daseinsfürsorge, sie ist das Mittel und wir sind der Zweck. Andererseits ist bei Überlegungen dieser Art Vorsicht geboten seitdem eingeräumt werden mußte, daß die Erde sich um die Sonne dreht und nicht umgekehrt. Die professionellen Ökonomen schweigen denn auch und die Philosophen zeigen sich gegenüber der Mittel-Zweck-Vorstellung grundsätzlich reserviert. Man müsse allmählich darauf verzichten, die Menschheit als noch einmal größeren Pantagruel und feistes Hätschelkind des Universums zu verstehen. Aus der Sicht der Soziologie beruht die geschmeidige Anatomie der Wirtschaft auf einem ununterbrochenen Strom von Zahlungen, reißen die Zahlungen ab, sind Wirtschaft und Gesellschaft im uns vertrauten Sinn am Ende. Aus diesem Grund wechselt die Politik in Zeiten ökonomischer Krisen die Seite und hilft dann doch wieder den Banken und nicht, wie es heißt, den Menschen.
Die Kunst muß die Sorge um das wirtschaftliche Wohlergehen nicht teilen, in Sebalds Prosawerk sind die Zahlungsströme gering. Ich legte 10 000 Lire auf den Teller, raffte die Zeitung zusammen und stürzte auf die Straße hinaus: Das ist eine der wenigen Szenen, in denen wir Selysses bei einer Barzahlung beobachten können. Der Versuch, im Bus nach Riva gegen Vorkasse ein Bild der Kafkazwillinge zu bestellen scheitert. Gegen Aushändigung eines Zehnmarkscheins gelingt es ihm in einer ähnlichen Lage, die Erlanger Hochzeitsreisenden zu einem Photo von der inzwischen geschlossenen Pizzeria Verona zu veranlassen, ob sie es ihm jemals zugeschickt haben, erfahren wir nicht. Finanzielle Transaktionen werden nur in außergewöhnliche Situationen, sozusagen in Notfällen offengelegt, ansonsten bleibt das Geld ein unsichtbares Fluidum. Wir können nur annehmen, daß Selysses in den Hotels nicht die Zeche prellt oder öffentliche Verkehrsmittel ohne gültigen Fahrausweis benutzt. Ernstliche Sorge ist aber unbegründet, Geld scheint immer in hinreichendem Maße verfügbar, mit dem Prekariat oder gar Subprekariat kommen wir kaum in Berührung, zu erwähnen wären immerhin die Sandler im Innsbrucker Bahnhof, aber auch die können sich ihr Bier leisten, dies und philosophische Gespräche, mehr streben sie nicht an. In Wahrheit ist Armut ein Sehnsuchtsziel. Seine Nachbarn seien von der aberwitzigen Brüsseler Landwirtschaftspolitik immer fetter geworden, bemerkt Alec Garrad, der Tempelbauer, mißbilligend, und auch Sebald selbst ist seine Heimat dadurch verleidet, daß die Bauern dort jetzt, wie er sagt, ein Schweinegeld verdienen. Treffen wir auf große Vermögen, so sind sie, wie im Fall des Cosmo Solomon, Gegenstand einer Vernichtungsabsicht, oder das Vermögen ist, wie im Fall des Majors Le Strange, stillgelegt und ungenutzt, für Investitionen steht es nicht zur Verfügung.
Die Wirtschaft habe den Menschen zu dienen und nicht umgekehrt, so hört man, und Beifall, nicht zuletzt aus der Politik, ist sicher. Wie sollte es auch anders sein, ist das Wesen der Wirtschaft doch die materielle Daseinsfürsorge, sie ist das Mittel und wir sind der Zweck. Andererseits ist bei Überlegungen dieser Art Vorsicht geboten seitdem eingeräumt werden mußte, daß die Erde sich um die Sonne dreht und nicht umgekehrt. Die professionellen Ökonomen schweigen denn auch und die Philosophen zeigen sich gegenüber der Mittel-Zweck-Vorstellung grundsätzlich reserviert. Man müsse allmählich darauf verzichten, die Menschheit als noch einmal größeren Pantagruel und feistes Hätschelkind des Universums zu verstehen. Aus der Sicht der Soziologie beruht die geschmeidige Anatomie der Wirtschaft auf einem ununterbrochenen Strom von Zahlungen, reißen die Zahlungen ab, sind Wirtschaft und Gesellschaft im uns vertrauten Sinn am Ende. Aus diesem Grund wechselt die Politik in Zeiten ökonomischer Krisen die Seite und hilft dann doch wieder den Banken und nicht, wie es heißt, den Menschen.
Die Kunst muß die Sorge um das wirtschaftliche Wohlergehen nicht teilen, in Sebalds Prosawerk sind die Zahlungsströme gering. Ich legte 10 000 Lire auf den Teller, raffte die Zeitung zusammen und stürzte auf die Straße hinaus: Das ist eine der wenigen Szenen, in denen wir Selysses bei einer Barzahlung beobachten können. Der Versuch, im Bus nach Riva gegen Vorkasse ein Bild der Kafkazwillinge zu bestellen scheitert. Gegen Aushändigung eines Zehnmarkscheins gelingt es ihm in einer ähnlichen Lage, die Erlanger Hochzeitsreisenden zu einem Photo von der inzwischen geschlossenen Pizzeria Verona zu veranlassen, ob sie es ihm jemals zugeschickt haben, erfahren wir nicht. Finanzielle Transaktionen werden nur in außergewöhnliche Situationen, sozusagen in Notfällen offengelegt, ansonsten bleibt das Geld ein unsichtbares Fluidum. Wir können nur annehmen, daß Selysses in den Hotels nicht die Zeche prellt oder öffentliche Verkehrsmittel ohne gültigen Fahrausweis benutzt. Ernstliche Sorge ist aber unbegründet, Geld scheint immer in hinreichendem Maße verfügbar, mit dem Prekariat oder gar Subprekariat kommen wir kaum in Berührung, zu erwähnen wären immerhin die Sandler im Innsbrucker Bahnhof, aber auch die können sich ihr Bier leisten, dies und philosophische Gespräche, mehr streben sie nicht an. In Wahrheit ist Armut ein Sehnsuchtsziel. Seine Nachbarn seien von der aberwitzigen Brüsseler Landwirtschaftspolitik immer fetter geworden, bemerkt Alec Garrad, der Tempelbauer, mißbilligend, und auch Sebald selbst ist seine Heimat dadurch verleidet, daß die Bauern dort jetzt, wie er sagt, ein Schweinegeld verdienen. Treffen wir auf große Vermögen, so sind sie, wie im Fall des Cosmo Solomon, Gegenstand einer Vernichtungsabsicht, oder das Vermögen ist, wie im Fall des Majors Le Strange, stillgelegt und ungenutzt, für Investitionen steht es nicht zur Verfügung.
Geringer Konsum, brachliegende Vermögen, die in Sebalds Prosawerk erkennbar geleisteten Zahlungen können die Konjunktur nicht befeuern, den Dichter wird das nicht anfechten. Auch um die anderen sozialen Systeme steht es nicht gut. Von der Politik ist nach dem Nationalsozialismus nichts mehr zu erwarten, im heutigen Brüssel geben Bucklige und Irre den Ton an, von London und Berlin wird geschwiegen. Die Religion, auf der katholischen Seite vertreten durch den Katecheten Meier sowie den Benefiziaten Meyer, auf der protestantischen durch den Prediger Elias hinterläßt keinen guten Eindruck, auch wenn dem Prediger Größe nicht abzusprechen ist. Das Gesundheitswesen ist selbst siech, die Therapie oft eine Folterprozedur oder ein Martyrium. Im Erziehungswesen trifft man vereinzelt begeisterte und begnadete Lehrer wie Bereyter oder Hilary, sonst gibt es nicht viel zu lernen an den Schulen und Hochschulen. Auch die Wissenschaft ist ein von Grund auf problematischer Bereich, die ringsum mit Unmengen von Steinen zugeschütteten Betongehäuse, in denen Hundertschaften von Technikern an der Entwicklung neuer Waffensysteme gearbeitet hatten, nehmen sich aus der Entfernung wie Hügelgräber aus. Auf eine Karriere im Rechtswesen kann man als emeritierter Richter nur mit einem gewissen Entsetzen zurückblicken.
Sebald malt das melancholisches Bild einer schon fast gesellschaftsfreien Gesellschaft mit absterbenden Funktionen, naturgemäß kein genaues Abbild der Realität. Daß der Mensch ein geselliges Wesen sei, mag mit den Worten Benns eine Balkanidee sein, der Gesellschaft im harten Sinn kann er nicht entkommen. Eine gesellschaftfreie Gesellschaft, also etwa eine Gesellschaft ohne Zahlungen und ohne die Logik des Geldes, ist nur in der nahen Todesstunde der Menschheit denkbar. Diesen dunklen Augenblick der Freiheit, diese eigenartige Form der Emanzipation gilt es zu nutzen. Sebalds Menschen und wir, die Leser, sind nicht weniger glücklich als Sisyphos, wenn auch auf andere Weise. Immer wieder wird uns eine Vorausschau auf den schon menschenleeren Planeten gegönnt.
Sebald malt das melancholisches Bild einer schon fast gesellschaftsfreien Gesellschaft mit absterbenden Funktionen, naturgemäß kein genaues Abbild der Realität. Daß der Mensch ein geselliges Wesen sei, mag mit den Worten Benns eine Balkanidee sein, der Gesellschaft im harten Sinn kann er nicht entkommen. Eine gesellschaftfreie Gesellschaft, also etwa eine Gesellschaft ohne Zahlungen und ohne die Logik des Geldes, ist nur in der nahen Todesstunde der Menschheit denkbar. Diesen dunklen Augenblick der Freiheit, diese eigenartige Form der Emanzipation gilt es zu nutzen. Sebalds Menschen und wir, die Leser, sind nicht weniger glücklich als Sisyphos, wenn auch auf andere Weise. Immer wieder wird uns eine Vorausschau auf den schon menschenleeren Planeten gegönnt.
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