Pont de Suresnes
Man kann nicht sagen, Selysses sei freiwillig auf das Polizeirevier gegangen. Auf dem Mailänder deutschen Konsulat, so sein Einwand, könne er sich ebenso gut einen neuen Paß besorgen und man solle sich weiter nicht bemühen. Der Padrone aber hatte seiner Frau schon die Autoschlüssel in die Hand gedrückt, und eh er es sich versah, saß er neben Luciana in dem blauen Alfa. Zu befürchten hatte er nichts von der Polizei, denn er hatte nichts Böses getan - Josef K. hatte dieses Argument allerdings nicht vor sehr weitgehenden Maßnahmen der Ermittlungsbehörden geschützt. Tatsächlich hat Selysses dann hinreichend Muße, sich an dem operettenhaften Gehabe des Brigadiere mit der riesigen Rolexuhr am linken und dem schweren Goldarmband am rechten Handgelenk zu erfreuen, bis dieser endlich das Dokument mit demonstrativem Schwung aus der Walze riß. Selysses aber summt die Operettenmelodie weiter, und als er mit der Bescheinigung in der in der Hand wieder im Auto saß, war es ihm als sie von dem Brigadiere getraut worden und könnten nun miteinander hinfahren, wohin sie wollten.
Cet homme tapait mes réponses à la machine au fur et à mesure que je lui déclinais mon état civil, mon adresse et une prétendue qualité d'étudiant. Auch Modianos Erzähler ist nicht freiwillig und auch nicht auf sanften Druck seiner Wirtsleute auf dem Polizeirevier, man hat ihn vorgeladen. Ob er Böses getan hat oder nicht, bleibt im Unklaren. Sein Name sei auf einer Agenda aufgetaucht, erfährt er. Als man ihn entläßt, sieht er auf dem Flur, sur la banquette de cuir, une fille d'environ vingt-deux ans, Gisèle, in Wahrheit Suzanne, wie sich später zeigt. Er wartet auf sie in einem dem Revier gegenüberliegenden Café, und das Liebesverhältnis nimmt schon bald greifbare Formen an, elle était allongée contre moi, nue, dans son imperméable. Gleichwohl bleibt das Verhältnis unbestimmt, je me suis demandé si elle n'allait pas disparaître pour le bon. Avec elle, je n'étais sûr de rien. Es endet schließlich auf die allerbestimmteste Art: Il me regardait fixement. Il était devenu tout rouge. Monsieur ... Votre amie. Accident. Juste après le pont de Suresnes.
Das Polizeirevier als erotogene Zone, dem Leben draußen kann das Liebesverhältnis nicht standhalten, so ließe sich das Gemeinsame der beiden Erzählungen darstellen. Selysses klassifiziert das Buch, an dem er schreibt und das wir lesen, als Kriminalroman. Die Verbrechen, um die es geht, liegen aber, wie das des Jägers Gracchus, in mythischer Vergangenheit oder sie sind, wie die bedrohlichen Augenpaare, die Selysses während der ersten Italienreise auf sich gerichtet spürt, womöglich nur eingebildet. Den Raubversuch am Mailänder Bahnhof wehrt Selysses auf geradezu tänzerische Weise ab, indem er auf dem Absatz sich drehend die Tasche von der Schulter schwingt und sie in die beiden Unholde hineinfahren läßt. In keinem Fall gehen von ihm selbst Verbrechen aus, sein Verhalten in Wien grenzt zwar in gewisser Weise an Landstreicherei, aber die war zu dieser Zeit bereits aus dem strafrechtlichen Register gestrichen. Über der Erzählung liegt alles in allem eine beruhigende Atmosphäre bürgerlicher Wohlanständigkeit, die Ausdruck findet in der teils tatsächlichen und teils scheinbaren Orientierung der Sätze am Vorbild der Erzählliteratur des neunzehnten Jahrhunderts und die selbstironisch darin kulminiert, daß sich der Erzähler ein Liebesverhältnis offenbar nur nach vorausgegangener Trauung vorstellen kann.
Modianos frühe Romane sind gekennzeichnet vom rundum kriminalisierten Milieu der Okkupationszeit, eine Motivanlage, die sich in den späteren Werken abschwächt aber nie schwindet, die Schleier des Verbrechens bleiben und durch sie hindurch bewegt sich das zentrale Figurenpaar, der junge Mann und das junge Mädchen nicht mit bürgerlicher Wohlanständigkeit, sondern in einer Art kreatürlicher Unschuld, da paßt es, wenn oft noch ein Hund mit von der Partie ist, in Un cirque passe hört er auf den Namen Raymond. Das Polizeirevier, im Verein mit dem Panier de salade, der grünen Minna, ist ein Standardmotiv des Dichters. Ein Nest der Liebe zudem, auch in Accident nocturne findet das junge Paar im Verlauf einer polizeilichen Maßnahme, der Unfallaufnahme, zueinander. Aber war es ein Unfall, oder ist der junge Mann in selbstmörderischer Absicht in den Wagen gelaufen, und war es ein bloßer Unfall dem Suzanne alias Gisèle am Pont de Suresnes zum Opfer fällt?
Man kann nicht sagen, Selysses sei freiwillig auf das Polizeirevier gegangen. Auf dem Mailänder deutschen Konsulat, so sein Einwand, könne er sich ebenso gut einen neuen Paß besorgen und man solle sich weiter nicht bemühen. Der Padrone aber hatte seiner Frau schon die Autoschlüssel in die Hand gedrückt, und eh er es sich versah, saß er neben Luciana in dem blauen Alfa. Zu befürchten hatte er nichts von der Polizei, denn er hatte nichts Böses getan - Josef K. hatte dieses Argument allerdings nicht vor sehr weitgehenden Maßnahmen der Ermittlungsbehörden geschützt. Tatsächlich hat Selysses dann hinreichend Muße, sich an dem operettenhaften Gehabe des Brigadiere mit der riesigen Rolexuhr am linken und dem schweren Goldarmband am rechten Handgelenk zu erfreuen, bis dieser endlich das Dokument mit demonstrativem Schwung aus der Walze riß. Selysses aber summt die Operettenmelodie weiter, und als er mit der Bescheinigung in der in der Hand wieder im Auto saß, war es ihm als sie von dem Brigadiere getraut worden und könnten nun miteinander hinfahren, wohin sie wollten.
Cet homme tapait mes réponses à la machine au fur et à mesure que je lui déclinais mon état civil, mon adresse et une prétendue qualité d'étudiant. Auch Modianos Erzähler ist nicht freiwillig und auch nicht auf sanften Druck seiner Wirtsleute auf dem Polizeirevier, man hat ihn vorgeladen. Ob er Böses getan hat oder nicht, bleibt im Unklaren. Sein Name sei auf einer Agenda aufgetaucht, erfährt er. Als man ihn entläßt, sieht er auf dem Flur, sur la banquette de cuir, une fille d'environ vingt-deux ans, Gisèle, in Wahrheit Suzanne, wie sich später zeigt. Er wartet auf sie in einem dem Revier gegenüberliegenden Café, und das Liebesverhältnis nimmt schon bald greifbare Formen an, elle était allongée contre moi, nue, dans son imperméable. Gleichwohl bleibt das Verhältnis unbestimmt, je me suis demandé si elle n'allait pas disparaître pour le bon. Avec elle, je n'étais sûr de rien. Es endet schließlich auf die allerbestimmteste Art: Il me regardait fixement. Il était devenu tout rouge. Monsieur ... Votre amie. Accident. Juste après le pont de Suresnes.
Das Polizeirevier als erotogene Zone, dem Leben draußen kann das Liebesverhältnis nicht standhalten, so ließe sich das Gemeinsame der beiden Erzählungen darstellen. Selysses klassifiziert das Buch, an dem er schreibt und das wir lesen, als Kriminalroman. Die Verbrechen, um die es geht, liegen aber, wie das des Jägers Gracchus, in mythischer Vergangenheit oder sie sind, wie die bedrohlichen Augenpaare, die Selysses während der ersten Italienreise auf sich gerichtet spürt, womöglich nur eingebildet. Den Raubversuch am Mailänder Bahnhof wehrt Selysses auf geradezu tänzerische Weise ab, indem er auf dem Absatz sich drehend die Tasche von der Schulter schwingt und sie in die beiden Unholde hineinfahren läßt. In keinem Fall gehen von ihm selbst Verbrechen aus, sein Verhalten in Wien grenzt zwar in gewisser Weise an Landstreicherei, aber die war zu dieser Zeit bereits aus dem strafrechtlichen Register gestrichen. Über der Erzählung liegt alles in allem eine beruhigende Atmosphäre bürgerlicher Wohlanständigkeit, die Ausdruck findet in der teils tatsächlichen und teils scheinbaren Orientierung der Sätze am Vorbild der Erzählliteratur des neunzehnten Jahrhunderts und die selbstironisch darin kulminiert, daß sich der Erzähler ein Liebesverhältnis offenbar nur nach vorausgegangener Trauung vorstellen kann.
Modianos frühe Romane sind gekennzeichnet vom rundum kriminalisierten Milieu der Okkupationszeit, eine Motivanlage, die sich in den späteren Werken abschwächt aber nie schwindet, die Schleier des Verbrechens bleiben und durch sie hindurch bewegt sich das zentrale Figurenpaar, der junge Mann und das junge Mädchen nicht mit bürgerlicher Wohlanständigkeit, sondern in einer Art kreatürlicher Unschuld, da paßt es, wenn oft noch ein Hund mit von der Partie ist, in Un cirque passe hört er auf den Namen Raymond. Das Polizeirevier, im Verein mit dem Panier de salade, der grünen Minna, ist ein Standardmotiv des Dichters. Ein Nest der Liebe zudem, auch in Accident nocturne findet das junge Paar im Verlauf einer polizeilichen Maßnahme, der Unfallaufnahme, zueinander. Aber war es ein Unfall, oder ist der junge Mann in selbstmörderischer Absicht in den Wagen gelaufen, und war es ein bloßer Unfall dem Suzanne alias Gisèle am Pont de Suresnes zum Opfer fällt?
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