Freitag, 10. April 2015

Musik der Dichter

Ratlos
Nabokow zufolge liegt das Wesen der Literatur, wie auch das der anderen Künsten, allein in der Kraft der Verzauberung und auf keinen Fall in einer interessanten Thematik oder in der Gewichtigkeit der bewegten Ideen. Ähnliches ist wohl gemeint, wenn die Musikalität eines Textes hervorgehoben wird. Wie die Musik, die keine externen Themen kennt und keine Ideen außer den musikalischen, hätte die Literatur die Last der Semantik zumindest zum Teil abgestreift. Die Dichter müßten dann, so eine mögliche Annahme, verborgene Komponisten und Musiker sein. Tatsächlich hat Thomas Bernhard zunächst Gesang am Mozarteum studiert und seine Bücher liest man, als wären es unerhörte Lieder vorgetragen in einer bis dahin ungeahnten Stimmführung. Thomas Mann stellt sich im Doktor Faustus und auch an anderen Stellen als bedeutender Musikkenner vor. Sebald gibt in den Moments musicaux Proben seines musikalischen Sachverstandes, kann aber den Verdacht nicht ausräumen, daß die Musikalität seiner Texte weiter noch reicht als sein zweifellos ausgeprägter Musikverstand. Tschechow gesteht freimütig, einzelne versprengte Töne angeschlagen auf der Gitarre seien ihm die liebste Form der Musikausübung, die Theorie von den Musikerdichtern gerät damit ins Wanken. Der eigentliche Problemfall aber ist Nabokow, der den Anstoß gab für diese Überlegungen. Musik sei ihm nie etwas anderes gewesen als die willkürliche Anhäufung barbarischer Klänge. Zur Not könne er die Zigeunergeige ertragen oder irgendein feuchtes Harfengeglocke aus La Bohème oder auch spanisches Getobe auf der Gitarre - ein Konzertpiano aber und entschieden jegliche konzertante Blasmusik verursache ihm in geringen Dosen Langeweile, in größeren Dosen dagegen blank liegende Nerven und sogar Durchfall. Angesichts dieser drastischen Darstellung neigt man im ersten Augenblick zur Umkehr der Theorie: Gerade diejenigen, die die Musik in der Musik nicht finden, wären prädestiniert, sie im Fluß der Sprache wahrzunehmen. Da steht dann aber wiederum der Bernhard im Weg. Letzten Endes bleibt nur die Feststellung, daß das Verhältnis von Dichtung und Musik ein weites und schwieriges Feld ist. Mit unerwartetem Musikverständnis im übrigen rühmt Nabokow am Erinnerungsvermögen die Meisterschaft, mit der es die versprengten Teile der Leitmelodie vereint, die maiglöckchenhaften Stengelchen der Noten sammelt und bindet, die hier und da über der verdunkelten Partitur der Vergangenheit schweben.

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